Samstag, 24. Juli 2021
Capone


Capone, USA 2020

Regie: Josh Trunk

Ich liebe kontroverse Filme. Oft genug findet man unter den kontroversen die WIRKLICH großen Filme, die Rohdiamanten der Filmkunst, die den handwerklichen Status Quo aufbrechen, um neue, innovative Wege zu gehen, neue Ideen umzusetzen, eine neue Bildsprache zu entwickeln, und damit neue filmische Dimensionen zu eröffnen.
Im Falle von Capone gelingt dies aber leider nur teilweise.
Zwar ist der ambitionierte und höchst anspruchsvolle Versuch, den Josh Trunk mit CAPONE unternimmt, aller Ehren wert, und er ist auch keineswegs völlig misslungen. Die Idee ist klasse. Bilder und Tempo, Schauspiel und Atmosphäre sind prima. Woran es jedoch fehlt, ist eine wirkliche Geschichte, ein Drehbuch mit einer Story, die Ziel und Richtung hat, Dinge, die einer filmischen Darstellung Orientierung, Dramaturgie und Geschlossenheit verleihen.
Nebenbei: Das Argument des bewussten Einsatzes der Orientierungslosigkeit als Stilmittel greift an dieser Stelle nicht, weil ein Stilmittel, das dazu führt, dass der Film nicht mehr funktioniert, kein Stilmittel mehr ist, sondern ein handwerklicher Fehler.

:-)

Die Situation: AL CAPONE wird nach zehnjähriger Haft (wegen Steuerhinterziehung - ein Treppenwitz der Historie übrigens) entlassen und auf seinem Privatbesitz in Florida unter Hausarrest gestellt. Er ist schwer krank, die Haft hat ihn gebrochen und, nach zwei Schlaganfällen, in die Demenz gestürzt.
Josh Trunk's Film widmet sich dem letzten Lebensjahr des legendären, nahezu in mythologische Sphären verklärten Verbrechers (und ist damit auch Mythologiekritik).



Eins ist klar, selten war eine Struktur so einzig und alleine auf eine einzige Figur ausgerichtet. Ein Konzept, das man in diesem Fall durchaus als gelungen bezeichnen kann, weil CAPONE den Verdacht, einfach nur ein weiteres oscar- und starfixiertes Movie zu sein, unter Hardys großartiger, stoischer Verkörperung der Hauptfigur unmittelbar ad absurdum führt. Hardy's Dialogarbeit (obwohl man von DIALOG eigentlich kaum noch sprechen kann) beschränkt sich auf unartikuliertes Brummen und Knurren - ein gelegentliches, nahezu unverständliches Nuscheln und - ganz, ganz selten einmal - zumindest ansatzweise, klare Worte immer dann, wenn anfallartig Aggression auftritt. Dann wechselt die Hauptfigur ins Italienische (deutsche Untertitelung) und äußert sich laut und relativ klar. Aber auch Hardy's nonverbales Spiel kennt nur ein Minimum an Zuständen: das blöde, inhaltsleere Vor-sich-hin-Starren, die vollkommene Paralyse, den aggressiv-paranoiden Anfall und einen, zumindest emotional, minimalstisch aktiveren Modus in Form des passiv Erlebenden im ausweglosen Labyrinth seiner persönlichen Erinnerungen und Halluzinationen.
Das alles erweckt dabei, erstaunlicherweise, nie auch nur einen einzigen Moment lang den Eindruck, speziell auf Hardy und seine exaltierte Performance hin ausgerichtet oder konstruiert zu sein, sondern verbleibt stets als organischer Teil der filmischen Perspektive des in sich gefangenen Erkrankten. Hier ist, wiederum erfreulicherweise, nicht der Schauspieler der Star, sondern das Thema.
Denn - nicht zuletzt - ist CAPONE natürlich auch der Versuch einer überzeugenden Darstellung des inneren Erlebens im Zustand einer Demenz, und stellt dergestalt eine extrem kompromisslose, und deshalb wahrscheinlich auch gelungene, Konfrontation und Auseinandersetzung mit der Krankheit dar. Ich kenne keinen anderen Film, der das Thema so gnadenlos in all seiner nackten, grotesken Brutalität und Grausamkeit zeigt, ohne einen Ausweg, ohne Verniedlichung, berrührte Umschreibung oder falsche Empfindlichkeit.



Wie also dreht man einen ernsthaften Film, der rein in der Wahrnehmung und dem Erleben eines Demenzkranken verbleiben will?

Ein schwieriges Unterfangen, das es tatsächlich erfordert, an den Grenzen und Schnittlinien der Machbarkeit gewöhnlicher filmischer Umsetzung zu arbeiten. CAPONE versucht zu diesem Zweck konsequent alle realen und irrealen Szenen, oder Personen, den exakt gleichen Status zuzuerkennen, um damit Realität, Erinnerung, Haluzination und paranoide Wahngebilde filmisch so miteinander zu verschmelzen, dass ALLES, was geschieht, letztlich in Frage gestellt werden muss. Im Grunde kann man in CAPONE niemals sicher sein, ob überhaupt irgendetwas - oder irgendjemand - real ist. Im Prinzip könnte der gesamte Film auch ausschließlich aus den Fetzen und Fragmenten des dementen Erlebens der Hauptfigur bestehen, die, auf der ausladenden Terasse eines Anwesens in Florida, blöd, und mit, zunächst einer Zigarre, später einer abgebrochenen Möhre im Gesicht, leer und sinnlos in den Park starrt. Während Wirklichkeit, Erinnerung und Halluzination untrennbar sich verbinden, und kaum mehr Sinn ergeben.
Das ist, um das Wenigste zu sagen, ein äußerst interessanter Ansatz, auf den man sich allerdings einlassen können muss.
Das alles - ambitioniert genug - gelingt, funktioniert, macht den Film zu etwas Großartigem.

Wenn da nur nicht der Mangel an Dramaturgie, an Entwicklung, an einer echten Geschichte wäre.

Ganz klar ein gravierender Mangel des Drehbuchs, das sich in der Bebilderung der Demenzperspektive verliert und vergisst, dass eine fesselnde Daramatik für einen großen Film unweigerlich notwendig ist.
Und so kommt man dann, irgendwann während des Betrachtens, nicht umhin, sich zu fragen, wo (zum Kuckuck!) der Film eigentlich hinwill, was er (verdammt nochmal!) eigentlich zu sagen hat.
Zudem bleibt die Andeutung, Demenz als eine Art Strafe, eine Art private Hölle anzusehen, gelinde gesagt ein insgesamt sehr heikler bis fragwürdiger Ansatz. Natürlich wird jeder Demenzkranke mehr oder weniger wehrlos von genau jenen Erinnerungen heimgesucht, die er während seines bewussten Lebens selbst erschaffen hat, diese Tatsache und damit die Krankheit insgesamt aber in einen moralisierenden Kontext zu verschieben, bleibt kritisch.
Keine Krankheit sollte, und kann schlüssig, aus der moralischen Beurteilung eines Lebens rückerklärt werden.

Insgesamt würde ich CAPONE - trotz der groben Schwächen - empfehlen wollen, jedoch nur demjenigen, der - ganz explizit - am Medium FILM oder der Krankheit DEMENZ interessiert ist. Dem Durchschnittsseher rate ich ab. Er wird mit CAPONE seine Schwierigkeiten haben.

Eine filmische Demenz???

70 %

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Sonntag, 13. Juni 2021
Alien
COVENANT



USA, 2017

Regie: Ridley Scott

Ein Film, über den man eigentlich sofort den Mantel des Schweigens decken sollte.

Völlig misslungen, gerade auch im Kontext der gesamten Reihe gesehen.

Nichts an diesem Film ist wirklich gut. Die Tricktechnik wirkt billig und veraltet, das Drehbuch und die Dialoge sind dämlich und stereotyp, die schauspielerische Leistung gibt sich bescheiden, der Soundtrack bleibt völlig unbedeutend bis unpassend, der Schnitt gerät furchtbar willkürlich und ohne jedes Gefühl für Tempo, die Kamera ist in ihren künstlerischen Möglichkeiten ein glatter Totalausfall, Design und Kulisse erscheinen kindisch bis albern, eine filmische Atmosphäre ist schlichtweg nicht vorhanden. Es gibt brutale Logikfehler und alles wirkt über weite Strecken wie ein B- bzw. Trashfilm, hin und wieder sogar wie eine Parodie. Etliche Passagen sind ideenlose Kopien aus den vorherigen Filmen. Wieder ein Schiff mit einer Besatzung im Kälteschlaf, wieder ein Unfall, der die Besatzung zum verfrühten Aufwachen zwingt, wieder ein Notsignal, dem nachgegangen werden muss?

Katastrophe.

Das ist einfach nur lächerlich.

Ein handwerklich-filmtechnisches Fiasko, eine Diskreditierung, eine sang- und klanglose Beerdigung der gesamten Alienreihe, die diesen Anschlag auf ihre Reputation wahrlich nicht verdient hat.

Tatsächlich bin ich ein wenig fassungslos, weil ich mich kaum an einen ernstgemeinten, groß angelegten Film erinnern kann, der handwerklich so schlecht gemacht war.

Alien:Covenant ist einer der schlechtesten Filme, die ich kenne.

Ridley Scott ist auf gewisse Weise geradezu ein Phänomen, mir ist tatsächlich kein einziger Regisseur der Filmgeschichte bekannt, der immer und immer wieder die ganze Bandbreite an Qualität abschreitet: von guten, großen, wirklich innovativen Filmen, über belangloses Mittelmaß - bis hin zu diletantischen Machwerken.
Und das regelmäßig.

Seltsam.

Die 25 % gibt es dann quasi für den Versuch.

PROMETHEUS, der Vorgänger, war großartig und gehört zu meinen bevorzugten Filmen, weil die Idee, aus der Reihe eine große, mythologisch angelegte Geschichte zu machen, durchaus gut war/ist.
Und auch COVENANT geht diesen Weg weiter.
Aber, wo der Rahmen in PROMETHEUS noch stimmig war, gerät er in COVENANT - zu wirr, bildet ein CHAOS aus Schnippseln, aus dem dann im Nachhinein einzelne Bruchstücke auftauchen.

Vielleicht sollte man ALIEN:COVENANT als Experimentalfilm verstehen?

25 %

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Sonntag, 30. Mai 2021
The...
... Iceman.



USA/2012

Regie: Ariel Vromen

Erstklassiger Film, der sich mit der Person und dem Leben des Auftragsmörders Richard - The Iceman - Kuklinski beschäftigt, der über eine Spanne von dreißig Jahren hinweg eine bis heute ungeklärte Anzahl brutalster Morde beging.
Durchaus als realistisch anzunehmende Schätzungen reichen, was die Zahl seiner Opfer angeht, klar in den dreistelligen Bereich, wobei Kuklinski seine Taten jedoch stets völlig emotionslos lediglich als Arbeit zum Zweck des Lebensunterhalts betrachtete, denn neben seinem mörderischen Treiben war er liebender Ehemann und sorgender Vater.
Kuklinski wurde während seiner gesamten Kindheit von seinem extrem gewalttätigen Vater misshandelt und erlebte mit, wie dieser seinen um wenige Jahre älteren Bruder totschlug. In jungen Jahren bereits emotional gebrochen, voller Aggression, und anderen Menschen gegenüber gleichgültig und ohne Empathie, entwickelte er früh den Hang zur Tierquälerei (oftmals ein signifikantes Merkmal späterer Serienmörder, wobei festgehalten werden muss, dass Kuklinski ansonsten nur sehr schwer in die herkömmliche Kategorie eines Serienmörders eingeordnet werden kann) und erschlug schließlich mit etwa dreizehn Jahren einen anderen Jungen mit einer Eisenstange, wonach er Zähne und Fingerkuppen der Leiche sorgsam entfernte und die Überreste in einen Fluss warf.
Seine spätere Familie, seine Frau und seine Kinder, die für ihn immer an erster Stelle standen, empfand er als emotionalen Anker und Halt, eine Art Insel inmitten der grenzenlosen Gleichgültigkeit, die sein Inneres ausmachte.
Kuklinski wurde 1986 verhaftet und starb 2006 (vermutlich ermordet durch eine Vergiftung mit Cadmium) im Gefängnis, unmittelbar vor der geplanten Zeugenaussage in einem Mafiaprozess.

Die Verfilmung trifft den realen Kuklinski erstaunlich gut, wobei natürlich die hochkarätige Besetzung - allen voran ein grandioser Michael Shannon als Kuklinski - einen nicht unerheblichen Anteil hat.

90 %

Unbedingt empfehlen will ich noch die Iceman-Tapes, die Originalinterviews mit dem echten Richard Kuklinski aus dem Jahr 2001. Es existiert wohl kein anderes Filmdokument, das die völlige Empathielosigkeit und Gleichgültigkeit eines Menschen dermaßen deutlich zum Ausdruck bringt.

The Iceman-Tapes

(Part I)

https://youtu.be/9DAHM75MKfk

(Part II)

https://youtu.be/ceERzARTMGs

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Donnerstag, 20. Mai 2021
Der...
... Boandlkramer und die ewige Liebe.



Deutschland 2021

Regie: Joseph Vilsmaier

Nettes kleines, bayrisches Schmankerl mit prominenter Besetzung. Bully Herbig als Tod, Hape Kerkeling als Teufel, Sebastian Bezzel als Max Gumbacher, nebst einer Vielzahl illustrer Gastauftritte von Rick Kanavian bis Eisi Gulp.

Durchaus amüsant, irgendwie süß und ganz lustig, wenn vielleicht auch nicht der ganz große Brüller.

Geschmacksache, aber wer - wie ich - eine generelle Schwäche für Mundartfilme hat, der liegt so falsch nicht, wenn er sich den Boandlkramer ansieht.

80 %

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Dienstag, 27. April 2021
Die...
... Einschaltquoten der Oscarverleihung sind um 60 % zurückgegangen.

Kein Wunder, denn es geht ja nicht mehr um Film, sondern um Ideologie.

Warum also sollte man sich das ansehen?

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Dienstag, 20. April 2021
Die...
... Schlange.




Großbritannien, 2021, 8 Folgen bei Netflix

Regie: Tom Shankland, Hans Herbots

Spitze. Wirklich erstklassig.

Und wieder kann man nur sagen: wo BBC draufsteht, da ist - meistens jedenfalls - Qualität drin.

Perfekt in allen filmtechnischen Belangen, gut gecastet, klasse gespielt, prima Dramatik, spannend, gute Kamera, exzellentes Drehbuch...

Besser geht fast nicht.

Allerdings dürfte die Verfilmung der brutalen Untaten des vietnamesisch-französischen Serienmörders Sobrahi nicht jedermanns Sache sein. Die Serie zeichnet sich nämlich durch eine sehr außergewöhnliche, harsche Grausamkeit aus. Nicht unbedingt was die Bilder betrifft, sondern eher im psychologischen Sinne.
Die knallharte Gegenüberstellung von kältester, gnadenlos-unbarmherziger, und dazu noch feiger, verschlagener Boshaftigkeit auf der einen Seite und andererseits der verträumten Naivität und Unschuld all dieser jungen Menschen, die auf der Suche nach Glück, Liebe und Frieden ihr Leben verloren haben, wird dermaßen auf die Spitze getrieben, dass es eben tatsächlich psychologisch manchmal schwer zu ertragen ist.

Volle Punktzahl!

100 %

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Sonntag, 18. April 2021
Love...
... and Monsters.



USA 2020

Regie: Michael Matthews (Stranger Things)

Nettes, kleines, etwas flaches, humoriges Filmchen, das sich selbst - Gott sei Dank, möchte man sagen - nicht allzu ernst nimmt. Kein wirklich großes, filmisches Gesamterlebnis, aber am Ende dann doch recht unterhaltsam und amüsant.
Hauptattraktion sind natürlich die schön und überzeugend zum Leben erweckten, zahlreichen Monster, die - und das überrascht mich dann doch ein wenig - offensichtlich sogar zu einer Oscarnominierung des Films in der Kategorie #Tricktechnik# geführt haben.
Tja, Monster, schätze ich, sind eben doch unsterblich, ob in Romanen, Comics, PC- und Konsolengames, oder eben wie hier, im Film - sie werden wohl EWIG leben.
Die Storyline ist kurz, aber durchaus ausreichend, und deshalb rasch erzählt: in einer Welt, die von monstermäßig mutierten Insekten und Tieren bevölkert ist, und in der sich die Menschen von der Oberfläche zurückgezogen und verbarrikadiert haben, beschließt der etwas trottelige Hauptprotagonist die relative Sicherheit seiner Kolonie hinter sich zu lassen, um seine 140 Kilometer entfernt lebende Jugendliebe, die er seit sieben Jahren nicht mehr gesehen, aber nie vergessen hat, endlich wieder in die Arme schließen zu können. Eine amüsante, abenteuerliche Reise, auf der er es mit allerhand schröcklichen Kreaturen, einem treuen Hund, einem emotionalen Androiden und zwei hilfreichen Weggefährten zu tun bekommt.
Auch die - ziemlich offenliegende - Message ist klar, einfach und nicht sehr tief:
1. Gib niemals auf
2. Dinge verändern sich
3. Manchmal ist Freundschaft mehr Wert als der feuchte Traum von romantischer Liebe

Wie gesagt: amüsant, leidlich lustig, einigermaßen kurzweilig, nette Unterhaltung, eine Komödie, bei der man trotz der schröcklichen Monster genau weiß, dass nichts passieren wird, und die mich persönlich irgendwie an #Tremors# (Im Land der Raketenwürmer, Ron Underwood, 1990 - der allerdings ein gutes Stückchen besser war) erinnert hat.

Ich sag mal: kann man sich ansehen, muss man aber nicht

65 %

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Sonntag, 28. Februar 2021
Wir Kinder vom...
... Bahnhof Zoo.



Amazon-Original, Deutschland, 2021

Regie: Philipp Kadelbach

Na ja, ich sag mal: mittelmäßig.

Im Grunde sprach ja eigentlich nichts dagegen, das inzwischen vierzig Jahre alte Original einer Modernisierung zu unterziehen. Im Gegenteil. Gerade das Drogenthema eignet sich hervorragend für ein Update. Viel hat sich verändert in den letzten Jahrzehnten. Gesellschaftlich, die Drogen betreffend, die Jugend betreffend - wobei natürlich manches, die Probleme des Erwachsenwerdens, die Psychologie der Sucht, auch gleich geblieben ist.

Die stärksten Momente erreicht die Neuverfilmung genau dann, wenn diese Übertragung, diese Modernisierung der Problematik, zwischen gesellschaftlicher Veränderung und gleichbleibenden, psychologischen Mechanismen, gelingt, was vor allem am Anfang der Fall ist.

Doch dann: baut das Ganze leider sehr schnell und entschieden ab.

Irgendwie geht der Verfilmung nach und nach der Saft aus. An der Besetzung liegt es nicht. Diesbezüglich hat man da ein paar wirklich talentierte, junge Schauspieler versammelt, die eigentlich ausnahmslos großartige Leistungen abliefern. Es ist eher die fehlende erzählerische und psychologische Tiefe, die aus dem an sich guten Ansatz, mit zunehmender Dauer, eine Art grob geschnittene Soap machen. Folge für Folge zerfällt die Neuverfilmung in eine Ansammlung zusehends klischeehafter Szenen. Oberflächlichkeit macht sich breit, Belanglosigkeit, Langeweile. Die Charaktere werden hölzern, unglaubhaft, ihr Verhalten, ihre Probleme und Lebensumstände, ihre kompletten Geschichten - verlieren an Integrität, alles verliert immer mehr den Bezug zur Ernsthaftigkeit des Themas, wird fiktional - eine Serie, und explizit Jugendserie, unter vielen, eine Art Lindenstraße mit Drogen. Das geht soweit, dass manche Szenen irgendwann völlig unpassend wirken, geradezu lächerlich, als hätte man es mit einer bizarren Parodie zu tun. Nichts passt mehr zusammen, nichts wirkt mehr geschlossen, einheitlich, intensiv.

Schade eigentlich. Die Idee war gut. Vielleicht hat man am Ende zu viel gewollt.

Wir Kinder vom Bahnhof Zoo ist ein bildgewaltiges Coming of Age-Epos, das ein ebenso provokatives, kontroverses wie eindrückliches Bild der Berliner Drogen- und Clubszene zeichnet.

So die Beschreibung von Amazon.

Tja, schön wäre es gewesen. Wobei dieser Amazon-Text eigentlich doch ganz gut passt, weil er nämlich genauso uninspiriert und langweilig daherkommt wie die Neuverfilmung nach ihrem Absturz ab Folge 3 oder 4.

50 %

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Mittwoch, 24. Februar 2021
Der goldene Handschuh


Deutschland/Frankreich 2019

Regie: Fatih Akin

Harter Stoff, schonungslos und alles andere als leicht zu ertragen.

Der Film hat viel Kritik eingesteckt. Vor allem aus der - sagen wir - eher professionellen, akademischen Kritikerecke und verschiedenen gesellschaftspolitischen oder ideologischen Kreisen. Und rein unter diesen Gesichtspunkten lässt sich die Kritik auch teilweise nachvollziehen, keine Frage. Allerdings tut man dem Werk von Akin aber auch Unrecht, wenn man es einzig auf diese Perspektiven beschränkt.
Meiner Meinung nach ist Der goldene Handschuh deutlich MEHR als nur ein Film.
Es handelt sich ohne Zweifel um ein Kunstwerk, das den Rahmen einer bloß filmkritischen Bewertung sprengt und ad absurdum führt.
Der goldene Handschuh ist ein perfektes nihilistisches Monster.
Hier gibt es nicht den Hauch eines Auswegs.
Kein Schicksal, kein Gott, keine Erlösung, kein Friede, keine Ruhe, keine Illusionen mehr, nur Alkohol, Sex, zerstörte Leben, ruinierte Körper, verdorrte Seelen, Resignation, Schmutz, Gestank und Willenlosigkeit. Herrlich knapp und präzise kontrastiert durch einmal die dümmlich lächelnde Vertreterin der Heilsarmee und den naiven, sich selbst überschätzenden Jüngling aus besserem Hause, der tatsächlich glaubt, mit seinen selbstverliebten Maßstäben in diesem Milieu der kaputten Seelen bestehen zu können.
Das ist wirklich großartig getroffen und herausgearbeitet.
Überhaupt muss man diese Gewichtung, die in dem Film liegt, bewundern. Akin benötigt nur ganz kurze Szenen, um jeden Ausweg, jede Illusion über ein Außerhalb, zu unterbinden, und den Höllenkreis der Hoffnungslosigkeit wieder zu verschließen.
Der gleichgültige Vorgesetzte an Honkas neuer Arbeitsstelle, das verheiratete Paar mit Haus und Existenzgrundlage, das im Prinzip genauso kaputt ist wie die Menschen in Honkas Stammkneipe...
Erstklassig gemacht.
Zudem gab es ja diese Kritik, die darauf abzielte, dass Akin Honka selbst und den Menschen dieses Milieus keinerlei Würde gelassen bzw. auch ein grob frauenverachtendes Bild gezeichnet hat.
Und ja, das ist der Fall.
Allerdings glaube ich eben auch nicht, dass man menschliche Würde oder auch Achtung vor dem weiblichen Geschlecht dort zeigen oder hinzaubern muss, wo sie nicht existiert. Es ist Akin, im Gegenteil, hoch anzurechnen, dass er eben einen realistischen Blick auf dieses Milieu freigibt, auch wenn das, was dann sichtbar wird, nicht schön, nicht geschmackvoll, nicht erhebend, sondern elend, schmutzig und bar jeder Hoffnung und Würde ist. Ich bin absolut nicht der Meinung, dass dieses Medium Film nur dazu da ist, uns eine heile Welt vorzugaukeln, in der am Ende dann doch immer alles gut wird. Dafür haben wir Disney, aber Film an sich, und FilmKUNST im Besonderen, kann, soll und darf, mehr leisten. Kann, soll und darf, auch unsere selbstgefällige Weltsicht, diesen Kokon aus bürgerlicher, moralischer und intellektueller Überheblichkeit, sprengen und uns mit dem konfrontieren, was wir nicht sehen oder hören wollen in unserer heilen Welt.
Auch handwerklich ist der Film ohne Fehl und Tadel.
In dieser Hinsicht gab es die Kritik, Akin hätte eine Art Kammerspiel in der Wohnung Honkas inszeniert. Aber auch das ist nicht wirklich nachzuvollziehen und eigentlich nur wieder aus einer Perspektive geurteilt, die den Kunstaspekt schlicht ignoriert. Honkas Welt ist nun einmal klein, sie besteht im wesentlichen aus seiner Wohnung und seiner Stammkneipe, und es ist ja auch tatsächlich so, dass seine Perspektiven mit jedem Mord geringer werden, was die Kamera umsetzt, indem sie mit zunehmender Dauer des Films die Wohnung enger und enger erscheinen lässt.
Wieder so ein Kunstaspekt, der nicht beachtet wurde.

Langer Rede, kurzer Sinn: Der goldene Handschuh ist ein beeindruckendes, durch und durch nihilistisches, schonungsloses Kunstwerk. Und das muss man eben ertragen können, oder, wenn man es schon nicht erträgt, doch zumindest anerkennen.

Ich glaube, der Film hat, in einem Maße wie nur wenige - besonders deutsche - Filme zuvor, psychologische Widerstände und Abwehrreaktionen hervorgerufen, gerade im pseudomoralischen Milieu akademisch-ideologischer Provenienz, das, in seiner vermeintlichen Überlegenheit, störende Realität ja am liebsten ausblendet oder verneint.

Auf den großen Filmplattformen im Netz, abseits des Feuilleton also, ist Akins Werk deutlich besser bewertet.

Nicht jedermanns Sache, trotzdem sehenswert.

95 %

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Sonntag, 31. Januar 2021
„Sieh an,...“
... sieh an, ein Netflixwochenende!

Serie Nummero 2.

EQUINOX

Netflix-Original, dänische Produktion, 2020, 6 Folgen.



Tolle Produktion.

Schauspiel, Geschichte, Erzählstruktur, Bilder - alles vom Feinsten, ein sehr schönes, unheimliches Rätsel zwischen Traum, Mysterium, Realität und Wahnsinn.

Ohne Zweifel sehr gut gemacht, ABER leider eben auch mit dem klassischen Problem all dieser Produktionen behaftet: der Schwierigkeit, ein hundertprozentig überzeugendes Ende zu finden.

Am Ende nämlich muss man sich entscheiden: handelt es sich jetzt um Wahnsinn oder um Realität?

Filme, die den Trick mit dem Wahnsinn - als Clou - erst ganz am Schluss anwenden, haben es relativ leicht, da kommt es hauptsächlich darauf an, die Erzählung während des Films zwar mysteriös, aber nicht wirklich doppelbödig zu gestalten, damit die große Überraschung dann auch gelingt (vgl. z.B. die postmodernen Meisterstücke „Fight Club“ von Fincher oder „Shutter Island“ von Scorsese).
Filme und Serien jedoch, die - wie „Equinox“ - mehr oder weniger von Beginn an mit dem Spiel um Realität und Wahn loslegen, müssen UNBEDINGT ein stimmiges und, vor allem, den Zuschauer nicht enttäuschendes Ende finden, sonst wird die gesamte Erzählung diskreditiert, völlig gleichgültig wie gut der Film zuvor inszeniert worden ist.

„Equinox“ zögert den Moment der Entscheidung geschickt bis zu den beiden letzten Szenen hinaus, und...
... kriegt dann die Kurve bedauerlicherweise nicht so ganz optimal.

Meiner Meinung nach ist die letzte Einstellung, die schließlich unmissverständlich den Ausschlag in Richtung Realität gibt, nachgedreht und angeklebt. Anscheinend war man mit der vorherigen Szene, die tatsächlich reichlich kitschig geraten ist, als Schlussszene nicht zufrieden (was ich verstehen kann).
Allerdings wäre, meiner Meinung nach, ein offenes Ende eindeutig stimmiger gewesen.
Es ist in solchen Fällen einfach wirkungsvoller, dem Zuschauer die Entscheidung selbst zu überlassen. Ein einfaches Auffinden der Leiche der Hauptprotagonistin zum Beispiel wäre so ein offenes Ende gewesen, und hätte auch deutlich besser zur vorletzten Szene gepasst.

Schade, denn die letztlich getroffene Entscheidung für die Realität macht die Serie irgendwie zu einem schnell abgehakten Mysterythriller unter vielen, und wird ihrer wahren Qualität und Tiefe damit absolut nicht gerecht.

Das alles macht natürlich auch die Bewertung schwierig. Wie bewertet man eine Serie, die über alle Folgen hinweg eigentlich perfekt ist, und nur in den letzten beiden Schlussszenen versagt?

Gesondert erwähnen will ich noch das geniale und großartig in Szene gesetzte Spiel mit den beiden Zeitebenen, die in Equinox eine Rolle spielen. Wirklich perfekt ausgeführt, da passt alles, bis in die gelungenen Übergänge hinein. Hab ich so dermaßen reibungslos auch selten gesehen.

Trotz des etwas holprigen Endes, gebe ich der Serie eine Bewertung von fetten

... 90 %!

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