Samstag, 30. April 2022
Simulacron 3 - A Dream Within A Dream.
Galouyes legendärer Roman aus dem Bereich des Metakomplexen.

Hier aber, und das ist natürlich schon eine Besonderheit, eher nach innen gerichtet, und nicht nach oben gestapelt.

Erschienen 1962/64.



Im Zusammenspiel mit der Werbebranche wird die Simulation einer Großstadt entwickelt, angefüllt mit Millionen von Einzelindividuen, allesamt mit differierenden Eigenschaften und daraus resultierendem, eigenständigem Meinungsverhalten. Doug Hall arbeitet als Assistent am Institut jenes Mannes, der die Möglichkeit zu dieser Art von komplexer elektronischer Simulation entwickelt hat, als dieser im Zuge eines bizarren Unfalls ums Leben kommt.
Bald, er ist zwischenzeitlich zum Leiter des Instituts berufen worden, kommt Hall der Gedanke, dass die Funktionseinheiten innerhalb der Simulation natürlich ebenfalls auf die Idee gekommen sein könnten, eine solche Simulation zu entwickeln.
Der Gedanke wird zur Obsession, und die Anzeichen - mehren sich.

***

Ist natürlich ein prima Sache. Der Gedanke der Simulation aus der Simulation heraus zerfetzt die eine, einfache Realitätsebene augenblicklich und abrupt, sofort und in alle Richtungen, und: er ist unwiderlegbar.
Es kann keinen Gegenbeweis geben.
Denn der könnte ja auch programmiert sein.
Das ist natürlich ein explizites Dick-Thema, wobei es sich hier aber nicht um das Produkt einer epigonenhaften Verehrung des großen Phil handelt, sondern um eine in etwa zeitgenössische, eigenständige Aufnahme der Idee.
Im Grunde haben wir es mit dem altbekannten Gedanken des Traums in einem Traum, also mit Poe zu tun.

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A Dream Within A Dream

Take this kiss upon the brow!
And, in parting from you now,
Thus much let me avow -
You are not wrong, who deem
That my days have been a dream;
Yet if hope has flown away
In a night, or in a day,
In a vision, or in none,
Is it therefore the less gone?
All that we see or seem
Is but a dream within a dream.

I stand amid the roar
Of a surf-tormented shore,
And I hold within my hand
Grains of the golden sand -
How few! yet how they creep
Through my fingers to the deep,
While I weep - while I weep!
O God! Can I not grasp
Them with a tighter clasp?
O God! can I not save
One from the pitiless wave?
Is all that we see or seem
But a dream within a dream?

EDGAR ALLAN POE/1849

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Das tiefste Thema dürfte also, noch hinter VERGÄNGLICHKEIT und EWIGKEIT, die WERTLOSIGKEIT sein. Die WERTLOSIGKEIT und die HALTLOSIGKEIT.

Zum vermeintlichen Gegensatz von Ewigkeit und Vergänglichkeit: manchmal reicht es schon, die Zusammenhänge umgekehrt zu denken, um Gegensätze aufzulösen, Ewigkeit kann tatsächlich nicht vergänglich sein, das wäre ein klarer Widerspruch, ein Paradoxon, geht man aber von der Vergänglichkeit aus, so stößt man auf die Tatsache, dass diese durchaus ewig sein kann.

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Galouye geht die Sache sehr zügig und ohne Umschweife an, was dem Aufbau manchmal etwas leicht Episodenhaftes verleiht. Generell ist der Roman, mit seinen gerade mal 220 Seiten eher kurz gehalten, liegt beinahe schon an der Grenze zum Kurzroman.
Was aber in diesem Fall nichts Negatives besagen soll, eher im Gegenteil. Nur vermittels dieser geradlinigen, auf das Wesentliche konzentrierten, Form gelingt es Galouye, diese ideale Ausgewogenheit zwischen Erzählung und metaphysisch-philosophischer Spekulation herzustellen, die den Roman auf so glänzende Art und Weise auszeichnet.
Wir erleben die Sache übrigens strikt aus der IchPerspektive, also komplett aus der Sicht- und Gedankenwelt des Hauptprotagonisten heraus. Die Perspektive ist tadellos ausgeführt und zwingt den Leser mitten hinein in die verwirrenden Fragen und Rationalisierungsversuche, die Doug Hall zu bewältigen hat.
Und auch hier zeichnet sich Galouye aus. Die Vielfalt der Abhandlungsansätzen ist enorm, erscheint mir sogar umfassend erschöpfend.
Wenn nämlich alles elektronisch programmierte Simulation in elektronisch programmierter Simulation in elektronisch programmierter ... ist, dann haben wir es zunächst einmal mit der Unendlichkeit zu tun, dem Periodenstrich nach dem Komma, worauf dann die Frage nach der Welt des höchsten, ersten Programmierers folgt, und damit die transzendente Hoffnung auf die EINE WIRKLICHE Realität. Hinzu tritt dann selbstverständlich noch die tiefenpsychologische Frage. Paranoia? Wahnsinn? Nur die psychische Überkompensation des verantwortlichen Programmierers, der elektronische Wesen in einer unechten, illusionären Welt leben lässt?
Galouye braucht acht relativ knappe Kapitel, um Welt, Situation, Ausgangslage und Problemstellung zu etablieren, mit Kapitel Neun schließlich beginnt die Fulminanz.