Dienstag, 28. März 2023
Rahel (Erzählung/SF).
Es wummert.
Dumpf gräbt sich der Bass durch das Gemäuer. Nebenan geht die Jugend ihren Liebesspielen nach. Auch ich bin einmal jung gewesen, ich kann mich noch entsinnen. Zudem befand ich mich gerade auf dem Sprung, ebenfalls auf eine Party eingeladen, ein - für mich, in meinem Leben - prägnant spärliches Vorkommnis.
Obwohl es eigentlich zu warm war für die Jahreszeit, die herrschte, zog ich die Wollmütze über, band meinen Schal um und kroch in den Mantel. Die Party, zu der mich ein Freund eingeladen hatte, stand unter dem Motto „American Diner“. Sie wissen schon: Petticoats, Pomade, Schmalzlocken, eine verfrühte Korova-Milchbar der späten fünfziger und frühen sechziger Jahre.
Dieser Freund, der mir die Ehre erwies mich einzuladen, ein Spross aus reichem Haus, hatte, soweit ich wusste, mit dem Geld seiner Mutter eine entsprechenden Themenblase in einem Zeitpark gemietet. Für diese eine, besondere Nacht.
Während ich noch vor der Tür auf das Flugtaxi wartete, das mich ans Ziel bringen sollte, fragte ich mich, ob Rachel auch auf der Party anwesend sein würde. Rachel ist einmal meine Frau gewesen. Vor langer Zeit. Sie war - sagen wir - speziell.
Zu speziell für meinen Geschmack.
Die eiförmige Kapsel des Flugtaxis summte aus der Nacht heraus heran. Seine rot lackierte, etwas angeschrammelte Nase kam näher und näher, schließlich hielt es quer vor meiner eigenen, klappte vier zerbrechlich wirkende Metallbeinchen aus und ließ aus dem mittlerweile geöffneten Einstieg eine kleine silbrige Treppe fallen.
„Avenir St. Mul - Zeitpark“, murmelte ich wie beiläufig, während ich noch im Begriff stand, mich in dem schmalen Ohrensessel, mit dem alle Einsitzer-Taxis ausgestattet sind, einzurichten.
Am Ziel angelangt, ließ ich die üblichen Kontroll-, Frage- und Testprozeduren der künstlichen FlugIntelligenz über mich ergehen, und stieg aus. Dürre Androiden der zweiten Generation empfingen mich am Eingangstor des Parks, beugten ihre langen Hälse mit empathisch schief gelegtem Kopf zu mir hinab, lächelten mich an so gut sie konnten und drückten mir schließlich ein Navigationspaneel in die Hand, das mich durch den spätabendlichen Zeitpark hindurch zur Party meines Freundes führen sollte. Da die automatischen Gleitbänder außer Betrieb waren, würde ich laufen müssen, was einige Minuten länger Zeit beanspruchen würde als auf den Bändern.
Ich aktivierte die optional angebotene Museumsfunktion.
Gemächlichen Schrittes ging es vorbei an Projektionsblasen, die - wenn nicht aktiv - nur nachtdunkle Orte links und rechts meines Weges darstellten. Vorbei ging es aber auch an aktiven Blasen, an den Landhausvillen gut betuchter Römer, in denen Menschen toga- oder tunikaumwunden, Cocktailgläser in den Händen, auf Liegen sich ergaben, vorbei an einem europäisch-mittelalterlichen Burgsaal, tuchbewährt, mit riesigen Kaminen, wo an Spießen über Feuern ganze Tiere brieten, während die Laute des Spielmanns im Chaos alkoholisierten Johlens und Kreischens nur sehr schwer zur Geltung kam, an Westernszenen in Saloons und ägyptischen Finessen, an Phillip‘s Hof zur Blütezeit des Imperiums der Spanier.
Ich folgte dem breiten Hauptweg mit der Nunmmer A18, bog irgendwann nach rechts in die Nebenstraße B7, und kurz darauf in eine Sackgasse zu meiner Linken, an deren Ende ich, in einiger Entfernung, das gelbe Licht des Diners sah.
Musikfetzen trieben an mein Ohr, gemischt mit dem Knattern und Röhren amerikanischer Karossen, der Motorräder und der Roller.
Noch einmal nahm ich den Kamm aus der Tasche meines Mantels, in der ich ihn zuvor vorausschauend deponiert hatte, und strich damit durch das glänzend gegelte Haar zu beiden Seiten meines Kopfes.

*

(...)


Neu.

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