Mittwoch, 24. Februar 2021
Der goldene Handschuh


Deutschland/Frankreich 2019

Regie: Fatih Akin

Harter Stoff, schonungslos und alles andere als leicht zu ertragen.

Der Film hat viel Kritik eingesteckt. Vor allem aus der - sagen wir - eher professionellen, akademischen Kritikerecke und verschiedenen gesellschaftspolitischen oder ideologischen Kreisen. Und rein unter diesen Gesichtspunkten lässt sich die Kritik auch teilweise nachvollziehen, keine Frage. Allerdings tut man dem Werk von Akin aber auch Unrecht, wenn man es einzig auf diese Perspektiven beschränkt.
Meiner Meinung nach ist Der goldene Handschuh deutlich MEHR als nur ein Film.
Es handelt sich ohne Zweifel um ein Kunstwerk, das den Rahmen einer bloß filmkritischen Bewertung sprengt und ad absurdum führt.
Der goldene Handschuh ist ein perfektes nihilistisches Monster.
Hier gibt es nicht den Hauch eines Auswegs.
Kein Schicksal, kein Gott, keine Erlösung, kein Friede, keine Ruhe, keine Illusionen mehr, nur Alkohol, Sex, zerstörte Leben, ruinierte Körper, verdorrte Seelen, Resignation, Schmutz, Gestank und Willenlosigkeit. Herrlich knapp und präzise kontrastiert durch einmal die dümmlich lächelnde Vertreterin der Heilsarmee und den naiven, sich selbst überschätzenden Jüngling aus besserem Hause, der tatsächlich glaubt, mit seinen selbstverliebten Maßstäben in diesem Milieu der kaputten Seelen bestehen zu können.
Das ist wirklich großartig getroffen und herausgearbeitet.
Überhaupt muss man diese Gewichtung, die in dem Film liegt, bewundern. Akin benötigt nur ganz kurze Szenen, um jeden Ausweg, jede Illusion über ein Außerhalb, zu unterbinden, und den Höllenkreis der Hoffnungslosigkeit wieder zu verschließen.
Der gleichgültige Vorgesetzte an Honkas neuer Arbeitsstelle, das verheiratete Paar mit Haus und Existenzgrundlage, das im Prinzip genauso kaputt ist wie die Menschen in Honkas Stammkneipe...
Erstklassig gemacht.
Zudem gab es ja diese Kritik, die darauf abzielte, dass Akin Honka selbst und den Menschen dieses Milieus keinerlei Würde gelassen bzw. auch ein grob frauenverachtendes Bild gezeichnet hat.
Und ja, das ist der Fall.
Allerdings glaube ich eben auch nicht, dass man menschliche Würde oder auch Achtung vor dem weiblichen Geschlecht dort zeigen oder hinzaubern muss, wo sie nicht existiert. Es ist Akin, im Gegenteil, hoch anzurechnen, dass er eben einen realistischen Blick auf dieses Milieu freigibt, auch wenn das, was dann sichtbar wird, nicht schön, nicht geschmackvoll, nicht erhebend, sondern elend, schmutzig und bar jeder Hoffnung und Würde ist. Ich bin absolut nicht der Meinung, dass dieses Medium Film nur dazu da ist, uns eine heile Welt vorzugaukeln, in der am Ende dann doch immer alles gut wird. Dafür haben wir Disney, aber Film an sich, und FilmKUNST im Besonderen, kann, soll und darf, mehr leisten. Kann, soll und darf, auch unsere selbstgefällige Weltsicht, diesen Kokon aus bürgerlicher, moralischer und intellektueller Überheblichkeit, sprengen und uns mit dem konfrontieren, was wir nicht sehen oder hören wollen in unserer heilen Welt.
Auch handwerklich ist der Film ohne Fehl und Tadel.
In dieser Hinsicht gab es die Kritik, Akin hätte eine Art Kammerspiel in der Wohnung Honkas inszeniert. Aber auch das ist nicht wirklich nachzuvollziehen und eigentlich nur wieder aus einer Perspektive geurteilt, die den Kunstaspekt schlicht ignoriert. Honkas Welt ist nun einmal klein, sie besteht im wesentlichen aus seiner Wohnung und seiner Stammkneipe, und es ist ja auch tatsächlich so, dass seine Perspektiven mit jedem Mord geringer werden, was die Kamera umsetzt, indem sie mit zunehmender Dauer des Films die Wohnung enger und enger erscheinen lässt.
Wieder so ein Kunstaspekt, der nicht beachtet wurde.

Langer Rede, kurzer Sinn: Der goldene Handschuh ist ein beeindruckendes, durch und durch nihilistisches, schonungsloses Kunstwerk. Und das muss man eben ertragen können, oder, wenn man es schon nicht erträgt, doch zumindest anerkennen.

Ich glaube, der Film hat, in einem Maße wie nur wenige - besonders deutsche - Filme zuvor, psychologische Widerstände und Abwehrreaktionen hervorgerufen, gerade im pseudomoralischen Milieu akademisch-ideologischer Provenienz, das, in seiner vermeintlichen Überlegenheit, störende Realität ja am liebsten ausblendet oder verneint.

Auf den großen Filmplattformen im Netz, abseits des Feuilleton also, ist Akins Werk deutlich besser bewertet.

Nicht jedermanns Sache, trotzdem sehenswert.

95 %

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