Mittwoch, 14. August 2024
Short Cuts I/TOT/1997-1999 - V/Hommage à Poe.
Morgenrote Sonnenaugen glitzern frierend in der Nässe. Massenwesen tänzeln sacht dem Untergang entgegen. Glaube mir und glaube nicht, in Sternennächten, im Zelt aus Himmelslust. Morgenrote Sonnenaugen glitzern frierend in der Nässe, wissen nicht, warum sie leben, sind.
„Abrakadabra“, der schwarze Vogel des Todes krächzte sein vollkommenstes Krächzen. Nevermore, never, never, nevermore. Ein Traum in einem Traum.
Das und nichts ansonsten.

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Short Cuts I/TOT/1997-1999 - IV/Bob.
„Hey Bob, was tust du?“, der schlaksige Typ mit dem Blumenhemd rief quer über die Straße.
Auf der anderen Seite war es Bob, der überrascht zusammenzuckte.
„Mir geht es gut, schließlich lebe ich noch!“, rief er zurück.
„Na, dann ist ja gut, Alter!“
„Ja, da hast du wohl Recht.“
Bob hatte den Typen noch nie in seinem Leben gesehen. Er war sich dessen absolut sicher, und dennoch ... sprach der Fremde weiter. Ja, mehr als das, der blumenhemdbekleidete Unbekannte war nun tatsächlich dabei, die Straße zu überqueren.
Bob fing an zu schwitzen. Dann war der andere bei ihm und noch ehe er sich versah, musste er einen kameradschaftlichen Schlag auf seine Schulter hinnehmen.
„So lange nicht gesehen. Na, warte mal, es muss jetzt an die zehn, nein bald zwanzig Jahre her sein. Ach Bob, weißt du noch, die Nacht, in der wir die Puppen tanzen ließen, unten in Texas?“, der Fremde sah versonnen ins Nichts.
Bob wurde schwindlig. „Texas? Ähm, verzeihen Sie, aber ich denke, wir sind uns noch nie begegnet. Oder vielleicht kann ich mich nur nicht erinnern, ich …“
Der Fremde wandte sich ab, und nach kurzem Zögern hörte Bob ihn rufen: „Hey, Joe, was tust du?“, quer über die Straße hinweg.
Auf der anderen Seite zuckte ein kleiner Mann im langen grauen Wollmantel zusammen und sah unsicher zu ihnen herüber.
Bob wurde schlecht. Sein Magen rebellierte gegen den Kaffee und die Brötchen, die er zum Frühstück gehabt hatte.
Der Fremde überquerte die Straße zum zweiten Mal.
Bob ging weiter.
Er beschloss, den Vorfall so schnell wie möglich zu vergessen.
Wie hatte seine alte Mutter immer zu ihm gesagt, damals als er noch ein Knirps gewesen war: "Junge, merke dir eins! Nur dies eine, versprich es!“, seine Mutter hatte ihm dabei jedes Mal ganz tief in die Augen gesehen und den Druck ihrer ihn festhaltenden Hände auf seine Arme verstärkt.
„Suche nicht Fragen zu beantworten, die über deinen Verstand gehen. Das bringt nichts, und macht dich verrückt. Würdest du das für mich wiederholen, mein Sohn?"
Und Bob hatte es wiederholt, so unendlich viele Male während seiner Kindheit.
„Suche nicht Fragen zu beantworten, die über deinen Verstand gehen. Suche nicht Fragen zu beantworten, die über deinen Verstand gehen. Suche nicht Fragen zu beantworten, die über deinen Verstand gehen. Suche nicht ...“.

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Donnerstag, 8. August 2024
Short Cuts I/TOT/1997-1999 - III/Allein - Die Wahrheit.
„Die Wahrheit ist nicht beliebt unter den Menschen“, sprach der Alte und ging von dannen. Einem Ziel entgegen, das er selbst noch nicht benennen konnte.
Wie sollte er auch? Unwissend, einsam, traurig wie er war, nachdem Sie ihm alles genommen hatten.
Der Junge blieb zurück und seine Stirn zeigte einen ersten Hauch der tiefen Gräben, die sich im Laufe der Jahre in sie eingraben würden.
„Die Wahrheit ist nicht beliebt unter den Menschen, versuche nicht sie Ihnen schmackhaft zu machen. Sie würden dich töten dafür. Sie leben in der Lüge, und nur die Lüge erhält sie am Leben.“
Der Junge wälzte die Worte des Alten immer und immer wieder in seinen Gedanken hin und her, hin und her. Was, um Gottes Willen, sollte er denn anfangen mit seinem Leben, wenn er es nicht der Wahrheit widmen konnte. Was blieb?
Eigentlich unterschied er sich nicht im Geringsten von dem Alten, der ihm diese Weisheit vermittelt hatte. Auch der Junge hatte alles verloren. Seinen Glauben, das, was man gemeinhin als Ideale bezeichnete. Alles lag in Trümmern, verteilte sich in formlose Brocken um ihn herum, soweit er sah.
Der Alte entfernte sich immer weiter von dem Jungen. Wurde kleiner und kleiner, während er der Auflösung entgegenging. Dann, mit einem Mal, verschluckte ihn der Horizont, und es war, als habe er niemals wirklich existiert.
Die Sonne blutete. Ihr vernichtendes Rot glühte und tauchte die Welt in ein mystisches Licht.
Eines der Einhörner sprang aus dem nahe gelegenen Wald, hob den Kopf und schrie als müsse es sterben. Die Jungfrau näherte sich ihm. Ihr weißes Gewand wogte sanft im Wind an diesem lauen Abend.
„Die Liebe wird dich retten, stolzes Pferd. Die Liebe wird dich retten.“
Sie sprach die Worte zu dem leidenden Tier, legte ihre Hand auf dessen kraftvollen Hals. Das Tier beugte die Knie, sank nieder zu Füssen des Mädchens. Dann starb es, und seine Seele entwich dem Körper im Gewand einer leisen, unscheinbaren Melodie, die geschaffen war, die Welt zu verändern.
Blumen erblühten. Bäume verneigten ihre uralten Gesichter voller Narben.
„Die Liebe wird dich retten!“.
Der Junge ging nach Hause. Durchwanderte die Felder und Wiesen, die das kleine Dorf, in dem er lebte, umgaben.
„Es ist spät, mein Sohn, eile dich, eile dich. Mutter sorgt sich. Eile dich, eile dich ... eile dich.“
Die Stimme verging. Der Junge begann zu laufen. Schneller und schneller trugen ihn seine Füße über den nunmehr staubigen Boden nach Hause.
Als er vollkommen außer Atem die Hütte seiner Eltern erreichte, waren diese nicht da. Zwar stand ein dampfender Kochtopf auf dem kantigen Herd, doch niemand antwortete auf die Rufe des Jungen.
Er senkte den Kopf. Er wusste mit einem Mal, dass er von nun an ganz alleine auf der Welt sein würde.
Keiner würde ihm mehr helfen.

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Samstag, 27. April 2024
Short Cuts I/TOT/1997-1999 - II/Incubus - Friendly Cat.
Friendly Cat.
Das Kätzchen schnurrt gediegen in der Ecke zwischen Decken, und trotz allem nackt. „Schnurr, Schnurr“, in Richtung Kater. Wo ist der Halt der vergangenen Tage? Weggeblasen.
Langsam gegangen, gewichen dem erhab‘nen Kribbeln.
Kater, Kater, dort im Feld, lauert, lauert auf den göttlichen Moment. Die Erlösung von der Pein, für wenigstens nur einen kurzen Augenblick.

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Sonntag, 3. März 2024
Short Cuts I/TOT/1997-1999 - I/Howl 2000.
Dein analytischer Verstand wird dich um den selbigen bringen. Ohne analytisch, ohne Verstand.
Mein Verstand, so wie ich ihn verstehe, ist nicht der deine, ist der meine, ist er, ist.
Geh mir aus den Augen Mensch, ich kann nicht sehen, was du tust.
Gut, ich gehe.
Nein, bleib!
Bleib.
Sie gehen gemeinsam ein Stück des Weges den Berg hinab ins Tal. Sie sehen gemeinsam den schmalen Pfad hinab ins Tal, wo grüne Wiesen liegen, dort im Tal, zwischen den Häusern der Bauern und der Bürokraten. Kein Wort sprechen sie mehr an diesem Tag; er klingt aus in einem Fest mit Hausmusik und Butterschmalz. Sie bestreichen ihre Brote dunkel mit Fett. Die Musik spielt im Takt der streichenden Messer, die sich winden im Verteilen. Müdigkeit im Bauch wiegt sie in Sicherheit. Der Schlaf kommt aus der Ecke und wirft seinen Mantel über jeden Einzelnen von ihnen.
Gute Nacht.
Der Morgen, der Morgen ist so schön. So schön der Klang der Vogelstimmen. Dort in den kahlen Bäumen klingt es, singt es - wie Donner. Hörst du denn nicht den leisen, manchmal lauten, Ruf nach Freiheit? Fühlst du nicht von Zeit zu Zeit den Schmerz der Aufgabe, die wartet? In den Augen aus Granit? In den Herzen aus Marmor, und nicht Gold?
Geh.
Bleib.
Der neue Tag wird einsam sein. Hier unten in den Niederungen haben die Straßen aus Asphalt den Sieg davongetragen. Hier unten lebt der Tod.
Sie betreten eins der Kaffeehäuser, um sich auszuruhen, um zu sitzen unter den anderen, die sie wie glotzende Kühe betrachten. Ich bin nicht von dieser Welt. Ich bin auserwählt, um jedem, der es will, den Frieden zu bringen. Den Frieden einer unerkannten Macht will ich Euch bringen. Betet mich an ihr Götzendiener. Ihr seid der Sünde verfallen. Ihr tanzt den Tanz ums goldene Kalb. Immer schneller, immer wilder um den Götzen, der sich, ungeachtet eurer Mühen, stumm zu euch verhält.
Betet mich an, verdammte Menschen.
Du bist verrückt, bist mein Freund, der nicht geboren ist, um dieses Leben zu bestehen. Die Verdammnis ist ein zweischneidiges Schwert. Sie lacht und weint in einem Augenblick. Sie tötet und gebiert in jedem Augenblick. Sie lebt. Sie geht. Sie steht gefangen in den Fesseln deiner, meiner, unserer Gedanken.
Ich muss gehen. Muss verlassen, was verlassen werden will, in diesen Tagen der Qual. Siehst du die blutenden Striemen, die mein Fleisch zerfressen haben? Tiefe Wunden beweisen meinen Kampf, bezeugen mein Ringen gegen das, was sie das Schicksal nennen. Ich weiß davon nichts. Ich kann nichts sagen über das Schicksal, das Ihr - zu kennen scheint. Ich bin gefangen in mir selbst und werde es bleiben. Es gibt ihn nicht, den anderen Weg. Den Ausweg aus der Hölle, die da brennt, die in Flammen steht seit Anbeginn der Welt. Ich trage die Angst mit mir. Auf bunten Fahnen, die im Sturm erblühen. Mein Herz ist Eisenherz, in meinen Träumen und nur dort. Ihr wisst es nicht. Ihr wisst es nicht. Wie ich. Wie ich. Vergib mir Seele. Vergib mir, bunter Vogel. Flieg. Weiter und weiter fort von mir, der ich den Schmerz gefunden habe, in deinen Armen, deinen Augen.
Urlaubsträume treiben umher. Dunstige Schwaden. Klebrige Nebel befeuchten alles, was dort ungeschützt sich preisgibt, was sterben will, um aufzugehen, aufzuerstehen. Nicht einer von Euch lebt. Nicht einer von euch.
Lebt.
Was also willst du tun, um weiterzumachen, um die Möglichkeiten weiter und weiter, immer weiter am Leben zu erhalten? Du willst nichts verlassen. Willst alles mit dir tragen. Du schindest dich umsonst. Du leidest umsonst. Der schwere Stein auf deinem Rücken kennt dich nicht. Der schwere Stein auf deinem Rücken liebt dich nicht. Wirf ihn ab. Wirf ihn ab und folge mir, erleichtert jetzt, hinaus in eine freie Welt.
Ich kann es nicht. Vielleicht sogar - will ich es nicht.
Warum? Warum das Klagen allenthalben? Warum das Reden über alles, über nichts? Warum nicht schweigsam sein für immer? Wie im Zentrum des Orkans. So still hier drinnen. Sie verstehen mich nicht, so wie ich sie nicht verstehen kann. Überhaupt scheint ein wirkliches Verständnis einfach nur undenkbar.
Undenkbar für mich.
Das ist meine Lehre, die ich geben kann: es ist kein Verständnis möglich zwischen den Menschen. Es ist kein Verständnis möglich für einen Menschen, der mit sich alleine lebt. Es existiert nicht die Möglichkeit, das Außen zu verstehen, noch das Innen. Das ist die Lehre, die ich zu geben habe. Doch ich bin kein Lehrer, bin zu keiner Zeit einer gewesen. Ich bin auch kein Held, bin zu keiner Zeit einer gewesen. Doch gewollt hab ich immer viel. Ja, alles sogar. Bekommen aber hab‘ ich nichts von alledem. Nur das Wissen, das so endgültig erwächst in mir. Dieses Wissen ist von negativer Art. Ist schlicht und einfach - ein klares "Nein". Nicht mehr. Das Wissen ist nicht wissbar. Nein. Das Herz ist nicht erlebbar. Nein. Der Geist ist nicht ergreifbar. Nein. Der Sinn ist nicht erdenkbar. Nein, nicht, negativ, negativ ...
Ist dieses Blatt zu wenden? Kann einer die andere Seite sehen? Kann irgendjemand, der, wie ich, nicht weiß, nicht will, kann er die andere Seite sehen?
Ich warte und warte und weiß nicht auf was. Auf eine Erlösung vielleicht. Erlösung? Welch ein Wort, welch ein Gedanke. Angst erscheint aus tiefen Wassern. Taucht auf und glitzert verstohlen im Gegenlichtlicht von oben. Beleuchtungen hinter Glas. Sich verformende Blasen aus Sauerstoff, konzentrierte Zähigkeit. Erlösung vom Fluch. Vom Fluch der Geburt, welcher in unfairen Stunden aufersteht.
Mich hat niemand gefragt, ob ich denn leben will.
Das macht die Frage nach dem Tod so unendlich nutzlos in meinen Augen.
Der Tod, der Tod, der Tod, Tod, Tod, Tod ...
Wie Morsezeichen einer Funkstation, die niemand mehr bedient. Irgendwo dort draußen, wo ein Eissturm messerscharfe Splitter mit sich trägt. Irgendwo dort draußen, wo ein Schiff, den Urgewalten ausgeliefert, steuerlos von einer Seite auf die andere geschlagen, hilflos treibt.
Dunkel ist die Nacht der letzten Stunden, wenn der Glanz verloren ist. Pathetisch hoffnungslos ist es, trotz allem immer weiter voranzuschreiten, mit blinden Augen und tastend ausgestreckten Händen. Immer wieder sich das alles einzubilden, was am Leben uns erhält. Die Hölle, das Fegefeuer, das ist die Erkenntnis. Ich weiß es und weiß es nicht, genau wie ihr alle.
Der Raum ist voller Fragen. Angefüllt, geschwängert von Fragen, die nicht mehr sind als ein Zeitvertreib, die nicht ernst zu nehmen sind. Es sind nur Fragen, die, um des Fragens willen überhaupt gestellt, nicht einmal dieses sind.
Nein. Nein. Nein.
Wir erinnern uns an die einzig zu gebende Lehre: Die Lehre der Negativität. Wo sind wir, wo bin ich geborgen, wenn ich nicht zu Hause sein darf? Wenn ich vertrieben bin wie ein Vagabund. Soll ich das Negative wenden in ein künstliches Glück? Wenn doch alles so selbstgemacht erscheint, so konstruiert von unwissenden Gedanken. Immer - bleibt etwas außen vor. Immer - fällt etwas aus dem Rahmen. Gehört nicht dazu. Darf nicht passen in das Bild, das du dir machst. Wo ist der Schlüssel für dieses Schloss an dieser Tür, die, man beachte das, in Wirklichkeit nicht einmal existiert.
Kann man alles erfassen? Was ist es, dieses Ganze?
Die Gesamtheit.
Auch sie ist nur ein Negativ.
Ein negatives Empfinden der Unvollständigkeit.
Ein Ideal. Ein Traum.
Wenn du manche Stufen nimmst, so gibt es kein Zurück. Was dennoch bleibt, das ist der Blick über die Schulter. Zurück, hinab, dorthin, wo du selbst einmal gewesen bist, wo du vielleicht gar hättest bleiben sollen.
Doch was nutzt es noch, das Lamentieren um ein "Ja", ein "Nein"? Um Positiv und Negativ. Ich hab das alles nicht gewollt. Nicht das schauen wollen, was ich sah. Nicht den Sinn verlieren in der Schlacht um Nichts. Wie soll ich mich schützen gegen - was auch immer? Gegen Eure, gegen Deine Meinung, die ihr, die du, aus eurer, deiner Seele schneidest und mir in meine Haut brennst. Ich weiß nicht, wer oder was ich bin. Ich kann die Fragen nicht vergessen, solange Antworten nicht zur Verfügung stehen. Auch wenn es diese Antworten überhaupt nicht geben kann. Das ist der Fluch der Wissbegier. Ich kann nichts dafür. Ich will weder Herr noch Sklave sein. Ich behandle alle Positionen gleich. Mir ist Recht getan, wenn niemand mehr sich Mühe gibt, wenn niemand mehr nach irgendetwas strebt, noch irgendetwas sucht oder zu finden hofft. Dann ist Stille, sind wir alle im Zentrum des Orkans.
Aussatz.
Unrein, unrein bin ich, und ich will es sein, verflucht, verflucht.
Seid ihr denn alle schon verbrannt?
Habt ihr denn alle aufgegeben?
Howl.

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Mittwoch, 21. Februar 2024
Short Cuts I - TOT - 1997-1999.


CoverEntwurf (2008-2010) für die Textsammlung "SHORT CUTS I".

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