Sonntag, 17. September 2023
Raskolnikow.


Befragung eines moralischen Mörders.


14/09/23

I.

Ein Faszinosum, auf welch' geniale Weise Dostojewski das Motiv der Tat verdeckt. Oberflächlich gesehen wirkt es zunächst wie eine Tat aus Habgier, aber - diese oberflächliche Deutung kann nicht sein (was der Brief der Mutter belegt), vielmehr treibt etwas Unbekanntes, seltsam Unbestimmtes, etwas aus den Tiefen seiner Seele, Raskolnikow an.

II.

Wenn man Raskolnikow's Gedanken verfolgt, diesen permanenten, unsteten, widersprüchlichen Dialog, den er innerlich mit sich selbst führt, dann braucht es natürlich gar kein bewusstes Motiv für den Mord mehr, dann könntes auch schlicht die Unruhe des nackten Wahns sein, die ihn antreibt.
Wobei sich dann allerdings wiederum die Frage stellt, was genau ihn denn in diesen Wahn getrieben hat. Das Unglück? Der Tod der Frau, die er heiraten wollte? Selbsthass? Ob des eigenen Unvermögens? Ziel- und Antriebslosigkeit?
Das ist das große Rätsel, der geheimnisvolle Urgrund des Romans. Ist das Selbstbestrafung? Schuld und Sühne?


16/17/09/23

III.

Was im Falle Raskolnikow's im pathologischen Sinne psychologisch zu diagnostizieren wäre, ist eine massive Störung der Impulskontrolle, im Guten wie im Schlechten. Was letztlich dann zur Spaltung seines Wesens führt.
Raskolnikow leidet an der Tatsache, dass er sich selbst nicht versteht. Eine Qual, eine Folter, für einen an sich intelligenten und zur Selbstreflexion fähigen Menschen wie ihn. Und heißt das am Ende nicht, dass notwendig und immer, stets zwei Seiten in der Seele eines Menschen miteinander ringen - eine "gute", gesunde Seite, und eine "böse" - zerstörerisch, selbstzerstörerisch? Und letztlich: bedarf es nicht einer berwussten Entscheidung darüber, welcher Seite man folgen will? Einer Entscheidung, die - einmal getroffen - ein gewisses, andauerndes Maß an Kontrolle nötig macht, um sie dann auch zu verwirklichen und aufrechtzuerhalten?