Donnerstag, 2. Mai 2024
LAST SNEAK: Kristallwelt (Erzählung/SF).
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Eine Viertelstunde später tauchte die vermeintliche Rettung auf.
Sie hatten das verfallene Bahnhofsgelände hinter sich gelassen und bewegten sich durch die Unwirklichkeit einer spröden, von trockenen Ginstersbüschen durchsetzen Landschaft, als Finn etwas entdeckte: nicht weit entfernt, auf der Kuppe eines mit sattem Grün bedeckten Hügels, gewahrte er eine Gruppe Menschen, allem Anschein nach Bürger der Kristallstadt - eine Familie mit Kindern und, was in diesem Moment vielleicht wichtiger war als alles andere, einem blauen Van, dessen Türen einladend offen standen, während seine Besitzer damit beschäftigt waren, zwei Pferde über den Zaun einer Koppel hinweg zu streicheln und zu füttern.
Finn hätte am liebsten laut aufgeschrien.
Und genau das tat er dann auch. Er brüllte und winkte, wie ein Wahnsinniger.
Auch Eloise schrie aus Leibeskräften, allerdings tat sie es aus einem anderen Grund, denn sie hatte inzwischen über ihre Schulter gesehen und den keifenden Mob entdeckt, der sich ihnen Meter um Meter näherte.
Diesmal jedoch schien das Glück auf ihrer Seite zu sein.
Die Bürger der Kristallstadt hatten sie bemerkt, die Kinder reagierten und winkten voll ausgelassener Fröhlichkeit zurück.
So weit so gut, dachte Finn noch. Dann aber, während sie der Rettung näher und näher kamen, fielen ihm plötzlich Ungereimtheiten auf, die ihn an der Tatsächlichkeit seiner Wahrnehmungen zweifeln ließen. Die hoch aufgeschossene Gestalt des Vaters, der schließlich oben auf dem Hügel in einem grauen Staubmantel vor ihm stand - den Kopf gesenkt, das Gesicht unter der breiten Krempe eines ebenso grauen Huts verborgen – war, wie Finn entsetzt feststellte, das einzige lebende Wesen des Grüppchens. Die Frau, wie auch die Kinder, waren Leichen, mit Draht notdürftig am Gatter der Pferdekoppel befestigt, in sich spannungslos, halb verwest und mit leeren, blicklosen Augenhöhlen. Arme und Beine, bemerkte Finn, waren an lange Holzstöcke gebunden, deren Enden die männliche Gestalt in Händen hielt – wie ein Marionettenspieler, der seine Puppen führt und ihnen so den Anschein von Lebendigkeit verleiht. Sogar die beiden Pferde – stellte er fest - waren nur Trugbilder, denn unzählige fette Fliegen tummelten sich auf den sorgsam am Zaun drapierten Kadavern, während mehlige Maden sich durch das Fleisch fraßen, durch das an verschiedenen Stellen bereits die blank genagten Knochen schimmerten.
„Was zum Teufel…“, schoss es Finn durch den Kopf, und sein Unwille ließ am Ende keinen Platz mehr für reales Entsetzen.
Der Mann im Staubmantel hob den Kopf und fixierte ihn mit bedrohlichem Blick, seine Augen glühende Falter im Nichts. „Du hast doch nicht etwa gedacht, dass du damit durchkommst, Finn?“, wisperte er, „Ich, WIR!, werden eure verlogene, saubere Welt aus Kristall zerschlagen – eure glitzernden Dome und Paläste, eure Monumente, die frevlerischen Statuen eures barmherzigen Gottes, der nicht mehr ist als ein Idol, hinter dem ihr eure Verderbtheit zu verstecken sucht. Ja, Finn, auch du, und vielleicht gerade DU!“ Und mit diesen Worten hob er den Arm und zeigte mit ausgestrecktem Finger auf sein Gegenüber, das sprachlos, verdattert und bleich vor ihm stand. „Wie Ratten, werden wir über Euch herfallen und nichts zurücklassen als - Glassplitter und Staub.“
Finn wurde schlecht.
Er sah den überdimensionierten Finger, der auf ihn gerichtet war, und musste würgen.

(...)

***

Dürfte fertig sein.

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Mittwoch, 1. Mai 2024
FremdlerArchive - Archive I - Die teloorische Zeitparallaxe/Der Eingriff - (Erzählung/SF) - I.
Im Jahre 48.767 universeller Zeitrechnung/UZ stieß das Maschinenvolk der Teloor, während der Erkundung eines Planeten des XeniaSektors, den es im Zuge der Verfolgung einer aggressiven Raumanomalie entdeckt hatte, auf ein Artefakt, welches von ihnen in der Folge als „Das Konstrukt“ bezeichnet wurde. Nimmt man die irdische Zeitrechnung/IZ als Maßstab, so muss man den Zeitpunkt dieser Entdeckung etwa auf das Jahr 1789 nach Christi Geburt datieren.
Diese Parallele ist für unsere Geschichte in gewisser Weise von Bedeutung.
Aber, bevor ich zu viel verrate, sehen Sie selbst.
Wir befinden uns im Jahre 2.014 irdischer Zeitrechnung/IZ, als Josh Sweeney, ein Kleinkrimineller ohne besondere Höhepunkte in seinem bisherigen Leben, aus einem von zwielichtigen Kroaten geführten Wettbüro tritt, die Taschen voller säuberlich gebündelter Geldscheine, die er soeben - wie er unschuldigerweise glaubt - völlig rechtmäßig und legitim in seinen Besitz gebracht hat. Tatsächlich ließe sich über den Begriff der „Rechtmäßigkeit“ streiten (eine Sache der Perspektive, wie so oft), ein Unterfangen allerdings, das besagte kroatische Wettbürobetreiber aufgrund der finanziell recht herben Einbuße nicht wirklich in Betracht zu ziehen bereit gewesen wären. Sie wollten ihr Geld zurück. Und das war auch schon alles, was sich in ihren äußerst speziellen Hirnwindungen abspielte.
Und so kam es, dass Josh Sweeney, noch ehe er auf dem Nachhauseweg den ersten Häuserblock vollständig passiert hatte, von einer finster dreinblickenden Gestalt in schwarzglänzender Kunstlederjacke verfolgt wurde. Der Verfolger war - Sie ahnen es bereits - Kroate, und in der Hand mit den bis auf den Grund abgekauten Fingernägeln, welche in der aufgesetzten Vordertasche seiner Jacke steckte, hielt er einen geladenen und gut geölten 45er Colt. Zielstrebig bewegte man sich in trauter Zweisamkeit einer Seitengasse entgegen, die Sweeney, seiner ursprünglichen Absicht gemäß, lediglich passieren, der verfolgende Finsterling allerdings zur finalen Erfüllung seiner unheiligen Pläne für sich auszunutzen gedachte. Acht Standardminuten später schließlich erreicht man diese Gasse, ihr Zugang nicht mehr als ein schmaler Einschnitt zwischen zerfallenden, hoch aufragenden Backsteingebäuden, wie sie einst in Mode gewesen sind und deshalb massenhaft aus dem Erdboden gestampft worden waren.
Der Kroate hatte inzwischen zu Sweeney aufgeschlossen und drängte ihn, als er den richtigen Zeitpunkt für gekommen hielt, mit einem plötzlichen Stoß in den schummrigen Durchgang. Sweeney, völlig überrascht von den über ihn hereinbrechenden Geschehnissen, fiel, und fand sich, noch ehe er sich versah, zwischen davonhuschenden Ratten und stinkendem Müll auf nass-kaltem Asphalt wieder.
Sein Verfolger zog die Waffe und legte an.
Stopp!
Normalerweise wäre der Lauf der Dinge nun ein ganz herkömmlicher gewesen, klischeehaft geradezu: Motiv Habgier, her mit der Kohle, anlegen, schießen, ausrauben, weg.
Stattdessen geschahen ein paar - auf den ersten Blick - äußerst ungewöhnliche Dinge.

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Sonntag, 28. April 2024
Incarnation 3000 - A Weird Tale - (Erzählung/Weird) - VI/Wandler!
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Josh folgte Misfits durch das Gedränge der öffentlich zugänglichen Räume des Casinos, die sie alsbald jedoch durch eine gesicherte Tür im hinteren Bereich wieder verließen, um durch leicht abfallende, in den Fels geschlagene Tunnel zuletzt in eine weite, hohe Felsenhöhle zu gelangen. Bis auf einen mächtigen, ovalen Holz-Metall-Tisch, dessen Oberfläche in spätmodernistisch-spiegelndem Glanz erstrahlte, war die Höhle leer und kalt.
Misfits umrundete den Tisch und ließ sich - unmittelbar gegenüber Josh - seufzend in einen gepolsterten Drehsessel sinken.
Josh bot er grinsend den Platz ihm gegenüber an.
„Nimm Platz, mein Freund. Wir erwarten die Mitglieder des Rates. Wie wäre es mit einem Schluck roten Weins?“
Josh gab keine Antwort, doch noch ehe er sich versah, fand er sich vor einem mit schwarzen Intarsien verzierten Silberpokal wieder, in den ein Bediensteter in dunkelbrauner Mönchskutte, der, seiner Erscheinung nach den beiden Ruderern, die Josh vor nicht mehr als einer halben Stunde zum Casino gebracht hatten, frappierend ähnlich, aus einer stumpf-verbeulten Blechkanne Rotwein eingoß. Wie betäubt beobachtete Josh den Fluß rubinroter Fluten, die sich, wie zeitlich hundertfach verlangsamt, vor seinen Augen in das Trinkgefäß ergossen.
Auf der anderen Seite des Tischs schlossen sich Misfits‘ plump behaarten Hände um den inzwischen ebenfalls befüllten, eigenen Pokal, die übergroßen Edelsteine, welche die Ringe an seinen Fingern zierten, glitzerten bunt im Schein des fächerartigen Kronleuchters aus Neonröhren, der, an einer in die Schwärze des Höhlenhimmels hinaufreichenden Kette, über dem Zentrum des Tischs befestigt war. „Zum Wohle, mein wild entschlossener Freund!“ Er hob seinen Pokal, prostete Josh zu, und trank ihn, während zu beiden Seiten seiner Botoxlefzen roter Wein aus seinen Mundwinkeln troff, in einem einzigen, gierigen Zug aus.
Nur wenig später betraten die Mitglieder des Rats die Höhle.
In weiten, farblich irisierenden Überwürfen glitten sie in einer langen Reihe hintereinander auf den Tisch zu, einer nach dem anderen nahmen sie ihre Plätze ein, einer wie der andere - legten sie ihre Umhänge ab, bevor sie sich niederließen; einer wie der andere glichen sie Misfits bis hinein in den notdürftigen Schnitt seines schütteren Haars und den violetten Glitzer seines Jacketts.
„Wandler!“, durchfuhr es Josh, und obwohl er mit allem gerechnet hatte in dieser Nacht, traf ihn der Anblick wie ein Donnerschlag. Blitzschnell raffte Josh all das in seinem Gedächtnis zusammen, was ihm an Wissen bezüglich dieser Wesen zur Verfügung stand.
Die Wandler!
Eines der effizientesten Produkte der GenoExperimente der letzten dreihundert Jahre, soviel Josh von der Geschichte der Mutantenbewegung bekannt war, ein Spitzenprodukt der dritten Generation, von dem nur zwanzig Stück in limitierter Auflage überhaupt jemals erschaffen worden war und - jetzt, in diesem Augenblick, fand er zwölf von ihnen vor seinen Augen versammelt. Diese Mutantenrasse war in der Lage, jede Gestalt anzunehmen, die anzunehmen sie beabsichtigte, in perfekter Kopie und nur äußerst schwer von den jeweiligen Originalen zu unterscheiden. Wandler galten als jähzornig, gefühlsarm, machtbesessen und verschlagen. Wer einen Wandler traf, so hieß es, und ihn als Wandler erkannte, der hatte sein Todesurteil unterzeichnet. Gnade gab es nicht.
Drüben aus der anderen Seite des Tischs grinste Misfits über beide Ohren.
Das Ganze schien ihm ein enormes Vergnügen zu bereiten.

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Next: "Incarnation 3000 - A Weird Tale" (Erzählung/Weird) - VII - "Der Rat der Zwölf".

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Samstag, 27. April 2024
Short Cuts I/TOT/1997-1999 - II/Incubus - Friendly Cat.
Friendly Cat.
Das Kätzchen schnurrt gediegen in der Ecke zwischen Decken, und trotz allem nackt. „Schnurr, Schnurr“, in Richtung Kater. Wo ist der Halt der vergangenen Tage? Weggeblasen.
Langsam gegangen, gewichen dem erhab‘nen Kribbeln.
Kater, Kater, dort im Feld, lauert, lauert auf den göttlichen Moment. Die Erlösung von der Pein, für wenigstens nur einen kurzen Augenblick.

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Next - Short Cuts I/TOT/1997-1999 - III/Allein - Die Wahrheit.

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