Samstag, 24. Juli 2021
Capone
laghbas, 08:38h
Capone, USA 2020
Regie: Josh Trunk
Ich liebe kontroverse Filme. Oft genug findet man unter den kontroversen die WIRKLICH großen Filme, die Rohdiamanten der Filmkunst, die den handwerklichen Status Quo aufbrechen, um neue, innovative Wege zu gehen, neue Ideen umzusetzen, eine neue Bildsprache zu entwickeln, und damit neue filmische Dimensionen zu eröffnen.
Im Falle von Capone gelingt dies aber leider nur teilweise.
Zwar ist der ambitionierte und höchst anspruchsvolle Versuch, den Josh Trunk mit CAPONE unternimmt, aller Ehren wert, und er ist auch keineswegs völlig misslungen. Die Idee ist klasse. Bilder und Tempo, Schauspiel und Atmosphäre sind prima. Woran es jedoch fehlt, ist eine wirkliche Geschichte, ein Drehbuch mit einer Story, die Ziel und Richtung hat, Dinge, die einer filmischen Darstellung Orientierung, Dramaturgie und Geschlossenheit verleihen.
Nebenbei: Das Argument des bewussten Einsatzes der Orientierungslosigkeit als Stilmittel greift an dieser Stelle nicht, weil ein Stilmittel, das dazu führt, dass der Film nicht mehr funktioniert, kein Stilmittel mehr ist, sondern ein handwerklicher Fehler.
:-)
Die Situation: AL CAPONE wird nach zehnjähriger Haft (wegen Steuerhinterziehung - ein Treppenwitz der Historie übrigens) entlassen und auf seinem Privatbesitz in Florida unter Hausarrest gestellt. Er ist schwer krank, die Haft hat ihn gebrochen und, nach zwei Schlaganfällen, in die Demenz gestürzt.
Josh Trunk's Film widmet sich dem letzten Lebensjahr des legendären, nahezu in mythologische Sphären verklärten Verbrechers (und ist damit auch Mythologiekritik).
Eins ist klar, selten war eine Struktur so einzig und alleine auf eine einzige Figur ausgerichtet. Ein Konzept, das man in diesem Fall durchaus als gelungen bezeichnen kann, weil CAPONE den Verdacht, einfach nur ein weiteres oscar- und starfixiertes Movie zu sein, unter Hardys großartiger, stoischer Verkörperung der Hauptfigur unmittelbar ad absurdum führt. Hardy's Dialogarbeit (obwohl man von DIALOG eigentlich kaum noch sprechen kann) beschränkt sich auf unartikuliertes Brummen und Knurren - ein gelegentliches, nahezu unverständliches Nuscheln und - ganz, ganz selten einmal - zumindest ansatzweise, klare Worte immer dann, wenn anfallartig Aggression auftritt. Dann wechselt die Hauptfigur ins Italienische (deutsche Untertitelung) und äußert sich laut und relativ klar. Aber auch Hardy's nonverbales Spiel kennt nur ein Minimum an Zuständen: das blöde, inhaltsleere Vor-sich-hin-Starren, die vollkommene Paralyse, den aggressiv-paranoiden Anfall und einen, zumindest emotional, minimalstisch aktiveren Modus in Form des passiv Erlebenden im ausweglosen Labyrinth seiner persönlichen Erinnerungen und Halluzinationen.
Das alles erweckt dabei, erstaunlicherweise, nie auch nur einen einzigen Moment lang den Eindruck, speziell auf Hardy und seine exaltierte Performance hin ausgerichtet oder konstruiert zu sein, sondern verbleibt stets als organischer Teil der filmischen Perspektive des in sich gefangenen Erkrankten. Hier ist, wiederum erfreulicherweise, nicht der Schauspieler der Star, sondern das Thema.
Denn - nicht zuletzt - ist CAPONE natürlich auch der Versuch einer überzeugenden Darstellung des inneren Erlebens im Zustand einer Demenz, und stellt dergestalt eine extrem kompromisslose, und deshalb wahrscheinlich auch gelungene, Konfrontation und Auseinandersetzung mit der Krankheit dar. Ich kenne keinen anderen Film, der das Thema so gnadenlos in all seiner nackten, grotesken Brutalität und Grausamkeit zeigt, ohne einen Ausweg, ohne Verniedlichung, berrührte Umschreibung oder falsche Empfindlichkeit.
Wie also dreht man einen ernsthaften Film, der rein in der Wahrnehmung und dem Erleben eines Demenzkranken verbleiben will?
Ein schwieriges Unterfangen, das es tatsächlich erfordert, an den Grenzen und Schnittlinien der Machbarkeit gewöhnlicher filmischer Umsetzung zu arbeiten. CAPONE versucht zu diesem Zweck konsequent alle realen und irrealen Szenen, oder Personen, den exakt gleichen Status zuzuerkennen, um damit Realität, Erinnerung, Haluzination und paranoide Wahngebilde filmisch so miteinander zu verschmelzen, dass ALLES, was geschieht, letztlich in Frage gestellt werden muss. Im Grunde kann man in CAPONE niemals sicher sein, ob überhaupt irgendetwas - oder irgendjemand - real ist. Im Prinzip könnte der gesamte Film auch ausschließlich aus den Fetzen und Fragmenten des dementen Erlebens der Hauptfigur bestehen, die, auf der ausladenden Terasse eines Anwesens in Florida, blöd, und mit, zunächst einer Zigarre, später einer abgebrochenen Möhre im Gesicht, leer und sinnlos in den Park starrt. Während Wirklichkeit, Erinnerung und Halluzination untrennbar sich verbinden, und kaum mehr Sinn ergeben.
Das ist, um das Wenigste zu sagen, ein äußerst interessanter Ansatz, auf den man sich allerdings einlassen können muss.
Das alles - ambitioniert genug - gelingt, funktioniert, macht den Film zu etwas Großartigem.
Wenn da nur nicht der Mangel an Dramaturgie, an Entwicklung, an einer echten Geschichte wäre.
Ganz klar ein gravierender Mangel des Drehbuchs, das sich in der Bebilderung der Demenzperspektive verliert und vergisst, dass eine fesselnde Daramatik für einen großen Film unweigerlich notwendig ist.
Und so kommt man dann, irgendwann während des Betrachtens, nicht umhin, sich zu fragen, wo (zum Kuckuck!) der Film eigentlich hinwill, was er (verdammt nochmal!) eigentlich zu sagen hat.
Zudem bleibt die Andeutung, Demenz als eine Art Strafe, eine Art private Hölle anzusehen, gelinde gesagt ein insgesamt sehr heikler bis fragwürdiger Ansatz. Natürlich wird jeder Demenzkranke mehr oder weniger wehrlos von genau jenen Erinnerungen heimgesucht, die er während seines bewussten Lebens selbst erschaffen hat, diese Tatsache und damit die Krankheit insgesamt aber in einen moralisierenden Kontext zu verschieben, bleibt kritisch.
Keine Krankheit sollte, und kann schlüssig, aus der moralischen Beurteilung eines Lebens rückerklärt werden.
Insgesamt würde ich CAPONE - trotz der groben Schwächen - empfehlen wollen, jedoch nur demjenigen, der - ganz explizit - am Medium FILM oder der Krankheit DEMENZ interessiert ist. Dem Durchschnittsseher rate ich ab. Er wird mit CAPONE seine Schwierigkeiten haben.
Eine filmische Demenz???
70 %