Donnerstag, 12. Dezember 2024
Short Cuts I/TOT/1997-1999 - XXIII./Der Mann, der verschwand.
Es kam mit einem Mal: Das Bewusstsein zu schwinden, hinzuschwinden. Dennoch gab es keinen Zweifel. Er kam sich vor, als arbeite er ausschließlich noch daran, dem Prozess des Schwindens entgegenzuwirken. Wenn er aß, wenn er seinen Körper anfüllte mit neuer Substanz, dann konnte er den Prozess des Schwindens zeitweise verlangsamen, ihn vielleicht sogar für kurze, immer kürzere, Zeit vollständig zum Stillstand bringen. Bald darauf jedoch setzte sich der Prozess fort, unaufhaltsam, wie es schien. Er ging. Er schwand dahin.
Es war ein Abschied auf Raten, kein plötzliches Ende, kein Abgang begleitet von einem letzten großen Knall. Langsam, Stück für Stück, Gramm für Gramm, Schritt für Schritt, war er dabei, sich der Grenze zu nähern, sich der Oberfläche jenes Spiegels zu nähern, den er in nicht allzu ferner Zukunft durchschreiten würde. Hinüber in die andere Welt, die Welt des Unsichtbaren, die Welt der Körperlosigkeit,
... die Welt der Geister.
Er hatte keine Angst.
Eher war er erstaunt, interessiert, ein nüchterner Beobachter, denn - in gleichem Maße wie, und während, seine körperliche Substanz und Präsenz schwanden, wandelte sich auch sein Geist.
Immer mehr schien er der materiellen Welt enthoben, immer mehr drehte er sich einzig um jene Fragen, die er für sich beantwortet haben musste, bevor er die Grenze überschritt. Ganz so, als bereite er sich vor, als übe er bereits das Leben hinter der Oberfläche des Spiegels, wo, wie er sicher wusste, völlig andere Gesetze, völlig andere Regeln galten. Zwar nahm er noch Teil an den Dingen der greifbaren Welt, jedoch auf eine äußerst merkwürdige Art und Weise: sie berührte ihn nicht mehr, diese Welt.
Nicht mehr wirklich.
Er ging.
Er schwand dahin.
Er verschwand aus dieser Welt, hinüber in eine andere Welt, ein Negativ der gegenwärtigen, materiellen Welt, die jenseitige Welt. Er näherte sich der Linie, dem Punkt, an der, an dem, die beiden symmetrischen Figuren miteinander in Kontakt traten.
Er war der Mann, der verschwand, und alle Zeit, die ihm noch blieb, war nur gestohlene Zeit.