Samstag, 18. November 2023
Ehremund (Der letzte Barbar/Erzählung/Fantasy) - Teil II.
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Rot glühte der nächtliche Himmel über Syrakin, der gebrochenen Stadt, die nach mehrwöchiger Belagerung dem Druck des Feindes nicht mehr hatte Stand halten können. Die Plünderungen - von je her das Recht der Sieger - befanden sich in vollem Gange. Ehremund ging durch die Straßen der Stadt, begleitet vom Brüllen der Brände und dem beißenden Geruch des Rauchs, dem Geschrei weinender Kinder, sterbender Männer und ihrer vergewaltigten Frauen.
Er selbst nahm keinen Anteil an den Exzessen - die Menschen hatten während der Belagerung genug gelitten, warum ihnen noch einmal zusätzliches Leid zufügen?
Trotz seiner Abscheu hatte er dennoch nie den Versuch unternommen, die barbarischen Verbrechen, die nach dem Fall einer belagerten Stadt verübt wurden, in irgendeiner Weise zu verhindern. Zu gut kannte er den Charakter der Männer, die sich, wie er selbst ja auch, ihren Lebensunterhalt als Söldner verdienten. Grausame, herz- und gottlose Tiere, die kaum mehr interessierte, als die schnelle Befriedigung ihrer primitiven Gelüste, ihrer Gier - nach Macht, nach Reichtum und Frauen, saufende, hurende Barbaren, derart abgestumpft und gewissenlos, dass es ihnen nicht die geringsten Probleme bereitete, einen Menschen, auch wenn er längst am Boden lag, auf brutalste Art und Weise zu quälen, zu verstümmeln, und am Ende zu töten. Männer, Frauen, Kinder - es spielte einfach keine Rolle.
Ehremunds Interesse galt ausnahmslos den Dingen, die er tatsächlich benötigte.
Waffen, ein kunstvoll hergestelltes Velbruckschwert, ein ausgewogen gefertigter Dolch, eine stabile Armbrust, Bekleidung, Rüstungsteile oder, wenn sich, was selten geschah, die Gelegenheit dazu ergab, ein gesundes und kräftiges Reittier, das waren die Dinge, nach denen er Ausschau hielt.
In dieser schicksalhaften Nacht betrat er müde ein noch unbeschädigtes Haus, über dessen Eingangstür das in Holz geschnitzte, abstrakte Symbol zweier empfangender Hände auf das Geschäft eins Heilers hingedeutet hatte.
Es war an der Zeit, seinen Vorrat an getrockneten Heilkräutern und Medizin zu ergänzen.
Dunkel und verlassen lag der Verkaufsraum vor ihm. Im flackernden Schein der vor den Buntglasscheiben lodernden Bränden sah er sich nach dem Regal mit den tönernen Krügen um, in denen die Heiler für Gewöhnlich ihre Salben und Kräutermixturen aufbewahrten, entdeckte es am gegenüberliegenden Ende des Raums, ging hinüber und machte sich daran, die in steilen Runen gefassten Bezeichnungen auf den Gefäßen zu entziffern.
Unachtsamkeit.
Der Fehler eines Anfängers.
Ehremund hatte die Gefahr weder gespürt, noch hatte er den Angreifer - in dessen Händen ein klobiges Kurzschwert dämonisch glänzte - gehört. Erst als sich das Blatt der Waffe unterhalb des linken Schulterblattes in seine Muskulatur bohrte, und ein weiterer, schnell nachgeschobener Streich ihm eine schräg über den Rücken verlaufende, augenblicklich weit aufklaffende Wunde zufügte, reagierte er. Er fuhr herum und starrte in das Gesicht eines vielleicht zwölfjährigen Jungen mit lachsfarbenem Haar, der, bleich vor Angst, das blutige Schwert kaum noch in Händen zu halten vermochte. Ein Kind!
Aufschreiend vor Wut und Schmerz schlug er dem Jungen das Schwert aus den Händen, packte ihn und - brach ihm das Genick.

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