Samstag, 5. August 2023
Harford Manor (Erzählung/Klassische Phantastik).
„….And my soul from out that shadow that lies floating on the floor
shall be lifted – nevermore!”
-
Edgar Allen Poe - The Raven

Nun, hier war ich also.
Ich stieg aus der Kutsche, die mich vom nahe gelegenen Dorf herauf nach Harford Manor gebracht hatte.
Kaum, dass ich mit den Füßen den Boden berührt und mein Gepäck abgeladen hatte, vernahm ich hinter mir das gellende Schnalzen eines Peitschenhiebs, begleitet von der herrisch-knappen Aufforderung einer alten versoffenen Stimme, welche die Pferde zum unverzüglichen Aufbruch trieb. Die Kutsche wendete im großen Kreis, flog unangemessen schnell über den hellen, staubigen Kiesbelag zurück in Richtung Haupttor des Anwesens, verschwand zwischen den dickstämmigen Bäumen des herbstlichen Parks, ließ mich alleine zurück.
Das passte zu den Reaktionen, die ich bereits bei meiner Ankunft im Dorf hatte erleben können: meinem Ansinnen, dem Herrn von Harford Manor meine Aufwartung machen zu wollen, waren misstrauische, ja ängstliche Blicke gefolgt, ja, gar hatte ich zu fürchten gehabt, den Rest des Weges, im Schweiße meines Angesichts mein Gepäck tragend, zu Fuß zurückzulegen, falls tatsächlich niemand in meine Beförderung einzuwilligen bereit gewesen wäre. Nach wie vor war ich verwundert über dieses Verhalten, schob es aber auf die Verschrobenheit der ländlich-provinziellen Bevölkerung, die ja, wie jeder weiß, oftmals den unverständlichsten Impulsen nachgibt - und sich nichts dabei denkt.
Ich zuckte mit den Schultern und wandte mich um.
In meiner Rocktasche trug ich die Nachricht, die mein früherer Studienkamerad Allan Harford mir vor einigen Wochen hatte zukommen lassen und welche der alleinige Grund für mein Hiersein war. Ich war damals nicht in der Lage gewesen, unmittelbar auf das Schreiben zu reagieren. Unaufschiebbare Verpflichtungen in Zusammenhang mit meinem Lehrstuhl in Olford, wo selbst ich das Professorenamt der „Strengen Komparistik“ betrieb, zwangen mich seinerzeit, die offensichtlich dringend notwendige Reise noch um ein paar lange Wochen zu verschieben. Und doch waren meine Gedanken, bereits geraume Zeit vor dem zuletzt doch erfolgten Aufbruch, auf seltsame und, wie ich Ihnen versichern kann, für mich ganz und gar untypische Art und Weise mit Allan Harford und dem Inhalt seines ominösen Schreibens beschäftigt geblieben. Es war mir sogar schwer gefallen, mich auf die Jahresabschlussprüfungen zu konzentrieren, die noch an meinem Institut abgehalten werden mussten.
Der Brief.
Ich tastete nach dem gefalteten Stück Pergament, und erschrak, als ich es nicht sofort fand. Dann aber stellte ich fest, dass ich es bereits in der Hand hielt.
Ich musste es unbewusst aus meiner Rocktasche gezogen haben.

(...)