Donnerstag, 7. August 2025
Zellenengel - Körperlos. (Erzählung/SF).
In einer aufquellenden Staubwolke landete der Aktenordner auf dem Boden. Niemand hatte ihn herausgezogen, keine Hand hatte nach ihm gegriffen oder ihn auch nur berührt, jetzt und seit über tausend Jahren nicht. Als wäre ein plötzlicher Windstoß hindurchgefahren, bewegten sich raschelnd die eingespannten Seiten, und, wie zufällig, blieben sie, in einer vorbestimmten Position, still und offen liegen.
Seine fleischlosen Augen machten sich ans Lesen.

Ohio, 14. März 2102.
Dies sind die Aufzeichnungen des Insassen O-33467, aufgefunden nach seinem Selbstmord am frühen Morgen des 11. Juni 2101. Obwohl die Untersuchungskommission vehement an den Schilderungen des Selbstmörders zweifelt - ja, geneigt ist, sie für die grotesken Fantasien eines durch und durch Wahnsinnigen zu halten -, wird empfohlen, sie der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Wir übersenden Ihnen hiermit den Originaltext, mitsamt einigen, von uns markierten (kursiv gesetzten) Passagen, die wir dringend zur Zensur anraten, da sie ein unerwünschtes Licht auf das Zellensystem werfen könnten.
Der Text selbst gliedert sich in zwei Teile, von denen der erste eine kurze Einführung zum System selbst, seiner Geschichte und Funktion, liefert, während der zweite die entarteten, selbst formulierten Fantasien des toten Insassen O-33467 im Original wiedergibt.


Der beigefügten Aktennotiz folgte der eigentliche Text. Obwohl er die Geschichte natürlich bereits kannte, las er weiter, vertiefte sich in die Sätze und Worte, die er, zumindest was den zweiten Teil betraf, vor langer Zeit einmal selbst verfasst hatte.


I.

Einfache, metallische Gehäuse, fensterlos, hermetisch abgeschlossen, ohne unmittelbare Verbindung zur Außenwelt, Hunderttausende von ihnen existieren in den unzugänglichen Regionen der Hochgebirge oder den unauslotbaren Tiefen verschiedener Höhlensysteme weit unter der Oberfläche der Erde. Ihr Sinn und Zweck besteht in der gezielten Anregung und Förderung menschlicher Kreativität, der kompromisslosen Ausreizung des in dieser Hinsicht abrufbaren, neurologisch-hormonellen Potentials. Jedem Mitglied des Kollektivs steht es mit Vollendung des dreiundzwanzigsten Lebensjahres frei, sich wirksam für den Rückzug in eines der Zellensysteme zu entscheiden. Man stellt einen einfachen Antrag, und erlangt meist ohne weitere Komplikationen die Erlaubnis. Wiederum nur wenige Tage danach zeigt dann die digitale Tonfolge des privaten Postempfangs den Eingang der Informationen zu Lagebedingungen und Standort des zugewiesenen Systems an, und man verlässt seine Wohneinheit, verschließt ein letztes Mal die Tür hinter sich, um von da an ein selbstloses und ehrenvolles Leben im Dienste des Kollektivs zu führen.
Sämtliche Besitztümer werden zurückgelassen.
Sie verbleiben in den Wohneinheiten der Antragssteller und werden später gegebenenfalls unter den Bedürftigen des Kollektivs verteilt. Nichts ist zur Mitnahme erlaubt, außer Büchern, digitalisierten Wissensbeständen und, vielleicht, individuellem Schreib- und Arbeitsmaterial. Alles andere, das der eine oder andere noch zu benötigen glaubt, muss nach Bezug der Zelle vor Ort beantragt werden.
Bekanntermaßen resultieren seit Jahrzehnten ausnahmslos alle bedeutenden Entdeckungen der exakten Wissenschaft, aber auch der Geisteswissenschaft, der Kunst, der Theologie, der Philosophie, einzig aus den gezielt herausgeforderten, streng überwachten Kreativitätsprozessen der Insassen der Zellensysteme, die ihnen - solange sie ihre Aufgabe erfüllen - ein sorgloses und bequemes Leben garantieren, einsam und spartanisch zwar, doch gänzlich frei von existentiellen Ängsten irgendeiner Art: man sorgt für sie, umgibt sie mit all der Sicherheit, die sie benötigen, um ihre Aufgabe zu erfüllen. Natürlich - provoziert genau diese Verheißung vollkommener existenzieller Sorglosigkeit immer wieder auch den Versuch des Missbrauchs. Diesbezüglich haben die Zellensysteme mit den gleichen Schwierigkeiten zu kämpfen wie alle anderen absichernden, staatlichen Versorgungs- und Wohlfahrtssysteme der Vergangenheit auch. Jedoch - der Ablauf des Lebens in der Abgeschiedenheit der Zellen lässt diese Missbrauchsversuche nicht lange unentdeckt. Wände, Fußböden und Decken der Zellen sind mit hoch sensiblen Messeinrichtungen durchsetzt, die unablässig, in jedem Augenblick, die Geistesleistung der Insassen aufzeichnen, den Aktivitätsgrad der verschiedenen Hirnareale abbilden, um schließlich mittels zentralistischer Überwachungstechnik diejenigen Parameter zu errechnen, die darüber Aufschluss geben, ob und in welchem Maße der Eingeschlossene noch produktiv arbeiten oder - im Gegenteil - in ein neurologisch dumpfes, ziel- und nutzloses Dahinvegetieren verfallen ist.
Letzteres ist selbstverständlich nicht erwünscht, und kann unter keinen Umständen toleriert werden.
Den Neuankömmlingen wird ein gewisser Spielraum gewährt, den man als die „Zeitspanne der Gewöhnung“ bezeichnet, schließlich ist es nicht einfach, seine Freiheit aufzugeben, um unvermittelt in ein rein geistiges Leben in vollständiger Isolation einzutreten. Es erfordert dies ein Maß an Entschlossenheit, Talent, Selbstkontrolle, Geduld und Anpassungsfähigkeit, das nicht jeder aufzubringen vermag.
Viele neigen dazu, sich und ihre Fähigkeiten in dieser Hinsicht zu überschätzen.
Ist diese Frist der nachsichtigen Betrachtung des notwendigen Gewöhnungsprozesses jedoch verstrichen, und kann der neue Insasse nicht rundum überzeugende Gründe für die Verzögerung des konzentrierten Arbeitsbeginns plausibel machen, wird kein Aufschub mehr gewährt: nach einem letzten klärenden Gespräch, wird der Betroffene umgehend ausgegliedert und in die körperlichen Produktionsprozesse des Kollektivs zurückverwiesen. Einzig einige wenige Auserwählte aus der Gruppe derjenigen, deren Kreativität sich nicht einstellen will oder binnen zu kurzer Frist wieder versiegt, verbleiben letztlich dennoch im System und übernehmen, bei nachgewiesener Eignung, strukturelle Arbeiten, fertigen Abschriften, zeichnen bereinigte Versionen von Graphen und Tabellen, oder stellen nach handschriftlicher Vorlage exakte Skizzen und Pläne her.
Darüber hinaus aber kann nur noch der Tod den Aufenthalt eines Insassen beenden.

Für alle endgültig Aufgenommenen lautet die Alternative also schlicht: anhaltende geistige Kreativität - oder physischer Tod. Die regulären Insassen der Zellensysteme sterben also entweder nach einem langen, kreativen und dem Kollektiv dienlichen Leben von alleine oder - eine zweite Möglichkeit, über die jedoch, aus ersichtlichen Gründen, nur selten öffentlich gesprochen wird - sie beenden ihre Existenz freiwillig mittels eines schnell wirkenden und in diesem Sinne humanen Giftgases, das - sollte es notwendig werden - aus winzigen Düsen in ihre Zellen geleitet wird.
Eine beeindruckend einfache Wahl und erfrischend unkomplizierte Lebensperspektive, wenn ich mich einmal so ausdrücken darf.


Natürlich hat man - bedauerlicherweise - immer wieder auch Fälle von körperlicher Schwersterkrankung. Insassen, die an schweren, chronischen Erkrankungen leiden, werden mit Medikamenten versorgt und erhalten den Beistand kompetenter Mediziner, die sie nach Belieben, höchstens aber dreimal pro Woche, anfordern und zeitlich begrenzt konsultieren können. Diese werden, solange nicht eine direkte körperliche Untersuchung oder ein chirurgischer Eingriff notwendig ist, den Zellenbewohnern via Monitor zugeschaltet.

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Montag, 28. Juli 2025
Short Cuts I/TOT/1997-1999 - (II/XVII) - XVIII./Der Tod auf dem Jahrmarkt.


Erzählung (Klassische Phantastik).

Eine Reise ins Surreale, eine Reise ins Innere.

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Freitag, 20. Juni 2025
Nietzsche-Analysen: Reaktionen auf Losurdo/2009.



I.

Der „junge“ Nietzsche - oder - „Die Geburt der Tragödie“/1872.

Es ist klar, dass Nietzsche in seiner gesamten Entwicklung von der "Geburt der Tragödie" (1872) aus gesehen werden kann, und eigentlich "muss". Am Anfang steht ganz zweifelsfrei diese eine, erste Dichotomie, in die er sich da hineinvergräbt. Apollo/Dionysos.
"Die Geburt der Tragödie (aus dem Geiste der Musik)" ist sein erstes voll- und eigenständiges, veröffentlichtes Buch, und im Rahmen der letzten Benachrichtigungen seines ursprünglichen Geistes, den sogenannten "Wahnsinnszetteln" (1889 - kurz bevor er schließlich in Turin weinend das geschundene Pferd umarmt und geküsst hat), findet sich immer noch genau diese eine, erste Dichotomie - jetzt, nur leicht variiert, beispielsweise in der Formulierung "Dionysos gegen den Gekreuzigten", mit der er einen dieser "Wahnsinnszettel" unterzeichnet.
Die Ursprungsdichotomie Apollo/Dionysos ist - so, wie sie von Nietzsche gemeint ist - relativ schwer in ihrer Bedeutung herauszusarbeiten, weil man zuerst immer an die Gemeinplätze denkt, die mit den Namen dieser beiden Götter, bzw. Halbgötter (Dionysos), verbunden sind. Das Rauschhafte, Orgiastische, teils Teuflische, mit "Dionysos" ("Pan"), das Ordentliche, Geregelte, licht Selbstbeherrschte mit "Apollo".
Das ist - im Prinzip - auch richtig, greift aber im Zuge der deutschen, philologischen, philosophischen und kulturellen Debatte des 19. Jahrhunderts deutlich zu kurz. Nietzsche meint - rückgreifend auf das seinerzeit generell idealisierte, antike Griechenland - eher den Gegensatz zwischen einem tiefgründigen Leben (und einer tiefgründigen Gesellschaft) in Kontakt zum Mythos und einzig ausgerichtet auf die Verwirklichung von Genius und wahrer Kunst (Dionysos), im Gegensatz zur „Apollonischen Heiterkeit" desjenigen, der ein geregeltes, geordnetes Leben führt, das aber alleine auf weltlichen und materiellen Genuss, auf bequeme, weltliche und materielle Vergnügungen abzielt, ein Leben ohne jegliche Verbindung zum Mythos und zur Tiefe, ein unernstes Leben, eine unernste Gesellschaft, „Kunst" und „Kultur“ (Apollo).
Rück- und überblickend lässt sich sagen, dass sich Nietzsches entlang der Ursprungsdichotomie "Apollo/Dionysos" verlaufendes Denken dieser frühen Jahre, im Kern, sämtlich um die damals ausnahmslos in allen Bereichen des Lebens, der Gesellschaft, der Politik und Kultur fortschreitende „Moderne" dreht. Nietzsches Polemik zu diesem Zeitpunkt war, im Kontext einer populären Strömung der seinerzeit allgemeinen, zeitgeschichtlichen Entwicklung, strikt gegen diese „Moderne" in all ihren geistigen Erscheinungsformen gerichtet, - gegen das seinerzeit in Deutschland immer stärker aufkommende, kommunistische Heilsversprechen eines sorglosen, glücklichen Lebens für alle, insbesondere das profane und besitzlose Heer der Arbeiterklasse im Sinne von Karl Marx und Engels, - gegen die aufklärerische, im Zuge der Französischen Revolution/1789 groß gewordene, These der Gleichheit aller, - gegen die zuvor jahrzehntelang dominierende, französische Lebensart des leichtfertigen Esprits und der Oberflächlichkeit (der er selbst die Tiefe des deutschen Geistes entgegensetzt), - gegen den Aufstand der gedankenlosen Masse in ihrem Verlangen nach einer ausschließlich noch dem Zeitvertreib, der Unterhaltung, der Ablenkung und dem Vergnügen dienenden „Kunst" und „Kultur" (woraus sich zuletzt, während der philosophisch mehr unabhängigen und weniger aktuell-polemischen Phase seines späteren Denkens, auch die berüchtigte, fundamentale Verurteilung des Christentums als einer „Religion der Sklaven und Schwachen" entwickelt). All diese Phänomene der "Moderne" galten ihm als Entfremdung und Bedrohung des wahren "Genius", der wahren Kunst, der wahren menschlichen Natur und der natürlichen Ordnung. Er sah in ihnen nichts, als Lügen, Heucheleien, fehlgeleitete Ideale, verdrehte und falsche Moralvorstellungen, die in letzter Konsequenz unvermeidlich zu Chaos, Barbarei und zivilisatorischem Untergang führen würden.
Einordnend zu all dem muss man aber auch sagen, dass der "junge" Nietzsche in diesen Jahren - extrem romantisierend und idealisierend - in den damaligen, philologischen, politischen, künstlerischen, kulturellen Debatten gefangen war, und, vor allem, auch unter dem mächtigen Einfluss Richard Wagners stand, in dessen engerem Kreis er sich (ganz offenbar auf der Suche nach einer Vaterfigur) bewegte, den er "Meister" nannte, aufs höchste verehrte, und in dessen Sinne er parteiisch polemisierend in die Debatten eingriff. Der spätere, unabhängigere Nietzsche hat sich dann wesentlich mehr in tatsächlich philosophischen Sphären bewegt, obwohl er sich von der in seinen akademischen Jahren entwickelten Ursprungsdichotomie des Dionysisch/Apollonischen, und - noch entscheidender - dem dichotomen, dualistischen Denken an sich, bis zum Ende seines bewussten Lebens nicht mehr befreien konnte.
Zuletzt schließlich wurde sein Geist von dieser für ihn nicht mehr aufzulösenden, grundsätzlichen Dualität des eigenen Denkens zerrissen (Thesis1).
Und so scheint "Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik" (1872), sein erstes, veröffentlichtes Buch, bis heute auch, nicht zuletzt und tatsächlich vor allem, als das Geburtsfanal seiner eigenen psychologischen Lebenstragödie auf.

II.

Losurdo - und - die genetische Schwäche links-intellektueller Analyse.

So ein bisschen krankt auch Losurdos Werk an der Krankheit aller links-intellektuellen Analyse: es muss eben letztlich alles immer ins links-intellektuelle Programm passen, der links-intellektuellen Theorie folgen - und sie bestätigen. Dieses strikte Ausgehen von einer ideologisch-programmatischen Zielsetzung führt dann eben immer wieder auch zu einseitigen Betrachtungen und - mal mehr, mal weniger - an den Haaren herbeigezogenen, äußerst zweifelhaften Zusammenhängen, welche die Beweiskraft der im Vorhinein festgelegten ideologischen Absicht verstärken sollen. Losurdos Analysen sind oft treffend, tief und in mancher Beziehung auch sehr erhellend, aber von dieser fundamentalen genetischen Schwäche ist auch er nicht ganz frei.
Es macht eben einen gravierenden Unterschied, ob ich eine Untersuchung - aufgrund einer Hypothese, oder auch nur einer einfachen Fragestellung - mit prinzipiell offenem Ende durchführe, oder - ob ich mich lediglich im Rahmen eines im Vorhinein bereits zwingend feststehenden, ideologisch erwünschten Ergebnisses bewege und damit das Pferd von hinten aufzäume. Das ist dann keine Untersuchung mehr, sondern "nur" noch der Versuch einer überzeugenden Beweisführung, welche in ihrer Neutralität kontaminiert ist.
Losurdo muss man zugutehalten, dass er diese genetische Schwäche der links-intellektuellen Analyse hier im Rahmen hält.
So ist er am Ende des ersten Teils, der sich auch ausführlich mit der Frage des seinerzeit im Umfeld Richard Wagners herrschenden Antisemitismus beschäftigt, in der Lage, die Beteiligung des jungen Nietzsche zu relativieren. Und tatsächlich ist es so, dass alles andere ein Grund gewesen wäre, die Lektüre der Arbeit Losurdos abzubrechen, denn eine Verengung Nietzsches auf Antisemitismus wäre grob fahrlässig gewesen und hätte lediglich davon gezeugt, dass hier jemand sich Beurteilungen erlaubt, die dumm sind, nicht auf einer profunden Kenntnis Nietzsches beruhen, und seinem Geist nicht einmal ansatzweise gerecht werden.
Losurdo vermeidet diese Dummheit, was seine Arbeit, aller links-intellektuellen Prägung zum Trotz, einen ernstzunehmenden Beitrag bleiben lässt.

III.

Tragischer „Genius" - oder - die Begeisterung des Selbst an der Wucht und Schärfe des eigenen Ausdrucks.

„Die Hegelianer und ihr verkrüppelter Nachwuchs sind wohl die verruchtesten aller Deutsch-Verderber."

(F.N. - „Unzeitgemäße Betrachtungen I" - „David Strauss, der Bekenner und der Schriftsteller " - 1873).

Es findet sich da - psychologisch gesehen - etwas bei Nietzsche, das man so ähnlich auch bei Poe findet. Ein gewisser, hemmungsloser Selbstgenuss in der schonungslosen Brutalität und Härte des eigenen Ausdrucks, besonders auch immer dann, wenn es gilt, vermeintliche Gegner oder Feinde - zu kritisieren, zu bekämpfen, zu diskreditieren. Liest man Poes zahlreiche Rezensionen zeitgenössischer Schriftsteller, dann findet man das ebenso vor, wie bei Nietzsche. Und beide haben sich damit sehr, sehr viele Feinde gemacht. Beide waren nicht bereit, ihrem Ansehen, ihrem Erfolg, ihrer gesellschaftlichen Anerkennung, Stellung und Akzeptanz zuliebe, nur um einen einzigen Deut nachzugeben und die eigene, manchmal bis zur unverschämten Beleidigung reichende, Ausdrucksgewalt zu mäßigen. Eine interessante Parallele, die einer eigenen Untersuchung wert wäre. Zumal sich beide Lebenswege zu Tragödien entwickelt haben und in Tragödie und Einsamkeit endeten.
Es wäre dies auch eine Untersuchung des „Genius", der letztlich womöglich gar keine andere Wahl hat, als sich selbst und seinem Genie bedingungslos treu zu bleiben.
Möge es enden, wie auch immer es enden mag.

IV.

Nietzsches „Befreiung“ - oder - Werkbetitelung und psycho-biographische Entwicklung.

Mit der zweiten „Unzeitgemäßen Betrachtung" - „Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben" (1874) - beginnt, nach wie vor im weiteren Rahmen der allgemeinen Auseinandersetzung mit der „Moderne", nun aber ganz explizit philosophisch, in Konfrontation mit der hegelschen Geschichts- und Moralphilosophie speziell in deren Thesen der „Vernunft der Wirklichkeit“ oder der „Sittlichkeit", Nietzsches Umdenken hinsichtlich des Wesens und der Rolle des Christentums. Es ist dies Nietzsches erster Schritt aus dem engen Käfig der akademischen Philologie und ihrer Debatten, hinaus in das weitere Feld der freien Philosophie, ein erster Schritt, welcher bald zu einem umfassenden, persönlichen Akt der Befreiung werden sollte: heraus aus den Fesseln und Pflichten der ungeliebten Professur in Basel, heraus aus dem Schatten Richard Wagners und, nicht zuletzt, heraus aus den unterbewusst nachwirkenden, psychologischen Fängen seiner christlich-religiös geprägten Kindheit und frühen Jugend im Elternhaus.
Was in diesem Zusammenhang auffällt, ist die Tatsache, dass Nietzsches Betitelung zentraler Werke stets auch den Status seiner eigenen psychologischen Entwicklung aufzuzeigen scheint. So stellt die „Die Geburt der Tragödie" (1872) vor allem auch die Geburt seiner eigenen, ganz persönlichen Lebenstragödie dar, während die zweite „Unzeitgemäße Betrachtung" - „Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben" (1874) - im Hinblick auf den ersehnten Schritt in die denkerische und persönliche Freiheit, nicht zuletzt auch die zum Zeitpunkt der Niederschrift stattfindende, abwägende Reflexion seiner eigenen, bisherigen Lebenshistorie kennzeichnet (Thesis2).

V.

Denkbewegungen: "Denken der Tiefe" am Beispiel des "Konzepts des Übermenschen" - oder - "Geistige Implosion" (Arbeitstitel).

Immer wieder faszinierend, und geradezu atemberaubend, ist es, sich mit dem Denken Nietzsches konfrontiert zu finden. Wie er - im Gegensatz zu all den anderen, wie kein anderer Philosoph - in unvergleichlicher Weise jedes systemische Denken vermeidet, wie er immer weiter denkt, und sein eigenes Denken dabei immer wieder schonungslos in Widersprüche verwickelt, nur um diese dann in neuen Denkbewegungen wieder aufzulösen, und damit mehr und mehr Tiefe zu gewinnen. Beeindruckend, unfassbar.
Und - es fordert natürlich auch immer und immer wieder, unablässig, das eigene Denken heraus, die eigenen, leichtfertigen, bequemen Systematiken und Erklärungen, die man - als wahr und wirklich - für sich selbst absolut gesetzt hat, um sich - das Weiterdenken, das Tieferdenken, zu ersparen.
Damit gerät Thesis1, die in Bezug zur schlussendlichen „Geistigen Implosion“ Nietzsches steht, indem sie sie als Resultat eines grundlegend dualistischen, nicht mehr zu vereinheitlichen Denkens, zerrissen zwischen den Polen der Dualität, vermutet, in Zweifel.
Betrachtet man diese ewig in die Tiefe voranschreitende, konsequente Denkbewegung Nietzsches, dieses unendliche, immer neue Eintauchen in den immerwährenden Zyklus aus Widersprüchlichkeit und vorläufiger Auflösung, dann ist zu fragen, ob, wenn aus Prinzip niemals eine Ende, ein Grund, ein Halt gefunden werden darf, - am Ende nicht das Denken selbst sich auflöst (Thesis2).


(...)

(In Progress)

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Mittwoch, 18. Juni 2025
Short Cuts I/TOT/1997-1999 - (XI) - XLIII./Zum Schluss (Rückkehr - Des unsterblichen Narren Possenstück).
Nur Spaß.
Nur Ironie.
Nur Scherz, nur Jux.
Unsterblich, jener Narr.
Unsterblich doppelschneidig, Komik, Tragik.

Nur Spaß.
Nur Ironie.
Nicht ernst.
Nicht wirklich schlimm.
Versöhnung. Friede.
Kinderlachen, Kinderaugenglanz.
Phantasien. Bunte Blüten.
Vogelflug.

Nur Spaß.
Nur Ironie.

So ruhet aus, im Schoß des Schlafs.
Schließt Augen, Ohren.
Träumt wohl, seid glücklich,
dass
Ihr lebt.
Seht auf, zur Sonne.
Fühlt kühlen Wind, auf eurer Haut.
Nehmt Freunde - wie sie sind.
Nur Spaß.
Nur Ironie.
Nicht gänzlich wahr.
Ein Ausschnitt nur.
Ein halbes Bild.
Vorbei, der Albtraum.
Fortgezogen.
Nur Spaß.
Nur Ironie.
Es ist nicht halb so dunkel wie es scheint.
Vertrauen. Hoffnung. Liebe.
Das alles - existiert.

Verzeiht, das böse Spiel.
Verzeiht, den Schmerz.
Das Klagen.
Den Verlust.
Die Auflösung.
Den Stoß ins Mark.
Des Messers scharfe Klinge.
Verzeiht.
Den Tod.
Die Dunkelheit.
Die Macht.
Verlangen. Schwarzer, selbstzerstörerischer Trieb.
Verzeiht.
Die dunkle Nacht der Seele,
die ich
mit euch
zu teilen
mich erdreistete.

Nur Spaß.
Nur Ironie.
Nur Jux, und Dollerei.
Ein kurzer Blick.
Nun kehrt zurück.
Vergesst, verzeiht -

- des unsterblichen Narren Possenstück.

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