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Sonntag, 25. August 2024
Zellenengel - (Erzählung/SF) - II.
laghbas, 21:51h
(...)
Den Neuankömmlingen wird ein gewisser Spielraum gewährt, den man als die „Zeitspanne der Gewöhnung“ bezeichnet, schließlich ist es nicht einfach, seine Freiheit aufzugeben, um unvermittelt ein rein geistiges Leben in absoluter Abgeschiedenheit zu führen. Es erfordert ein Maß an Entschlossenheit, Talent, Gewöhnung und Zeit, das nicht jeder aufzubringen vermag.
Viele neigen dazu, sich und ihre Fähigkeiten in dieser Hinsicht zu überschätzen.
Ist die Frist jedoch verstrichen, und kann der jeweilige Insasse nicht überzeugende Gründe für die Verzögerung eines konzentrierten Arbeitsbeginns plausibel machen, so wird kein Aufschub mehr gewährt: nach einem letzten klärenden Gespräch wird der Betroffene umgehend wieder ausgegliedert und in die körperlichen Produktionsprozesse des Kollektivs zurückbeordert. Einzig einige wenige, deren zuvor erwiesene Kreativität sich nicht einstellen will oder frühzeitig versiegt, verbleiben dennoch im System und übernehmen von da an strukturelle Arbeiten, fertigen Abschriften an, zeichnen bereinigte Versionen von Graphen und Tabellen oder stellen nach handschriftlicher Vorlage exakte Skizzen und Pläne her.
Darüber hinaus kann nur der Tod den Aufenthalt des Insassen beenden.
Für alle endgültig Aufgenommenen lautet die Alternative also schlicht: anhaltende geistige Kreativität - oder vorzeitiger, physischer Tod. Die aufgenommenen Insassen sterben also entweder nach einem langen, kreativen und der Gesellschaft dienlichen Leben von alleine oder - eine zweite Möglichkeit, über die jedoch nur selten öffentlich gesprochen wird - sie beenden ihre Existenz freiwillig mittels eines schnell wirkenden und in diesem Sinne humanen Giftgases, das - sollte es notwendig sein - aus winzigen Düsen in ihre Zelle geleitet wird.
Eine beeindruckend einfache Wahl und erfrischend unkomplizierte Lebensperspektive, wenn ich mich einmal so ausdrücken darf.
Natürlich hat man - bedauerlicherweise - immer wieder auch Fälle von körperlicher Schwersterkrankung. Insassen, die an chronischen Erkrankungen leiden, werden mit Medikamenten versorgt und erhalten den Beistand eines kompetenten Mediziners, den sie nach Belieben, höchstens aber dreimal pro Woche, anfordern und konsultieren können. Er wird in den meisten Fällen den Zellenbewohnern via Monitor zugeschaltet.
(...)
***
Alternativtitel: "Körperlos".
Den Neuankömmlingen wird ein gewisser Spielraum gewährt, den man als die „Zeitspanne der Gewöhnung“ bezeichnet, schließlich ist es nicht einfach, seine Freiheit aufzugeben, um unvermittelt ein rein geistiges Leben in absoluter Abgeschiedenheit zu führen. Es erfordert ein Maß an Entschlossenheit, Talent, Gewöhnung und Zeit, das nicht jeder aufzubringen vermag.
Viele neigen dazu, sich und ihre Fähigkeiten in dieser Hinsicht zu überschätzen.
Ist die Frist jedoch verstrichen, und kann der jeweilige Insasse nicht überzeugende Gründe für die Verzögerung eines konzentrierten Arbeitsbeginns plausibel machen, so wird kein Aufschub mehr gewährt: nach einem letzten klärenden Gespräch wird der Betroffene umgehend wieder ausgegliedert und in die körperlichen Produktionsprozesse des Kollektivs zurückbeordert. Einzig einige wenige, deren zuvor erwiesene Kreativität sich nicht einstellen will oder frühzeitig versiegt, verbleiben dennoch im System und übernehmen von da an strukturelle Arbeiten, fertigen Abschriften an, zeichnen bereinigte Versionen von Graphen und Tabellen oder stellen nach handschriftlicher Vorlage exakte Skizzen und Pläne her.
Darüber hinaus kann nur der Tod den Aufenthalt des Insassen beenden.
Für alle endgültig Aufgenommenen lautet die Alternative also schlicht: anhaltende geistige Kreativität - oder vorzeitiger, physischer Tod. Die aufgenommenen Insassen sterben also entweder nach einem langen, kreativen und der Gesellschaft dienlichen Leben von alleine oder - eine zweite Möglichkeit, über die jedoch nur selten öffentlich gesprochen wird - sie beenden ihre Existenz freiwillig mittels eines schnell wirkenden und in diesem Sinne humanen Giftgases, das - sollte es notwendig sein - aus winzigen Düsen in ihre Zelle geleitet wird.
Eine beeindruckend einfache Wahl und erfrischend unkomplizierte Lebensperspektive, wenn ich mich einmal so ausdrücken darf.
Natürlich hat man - bedauerlicherweise - immer wieder auch Fälle von körperlicher Schwersterkrankung. Insassen, die an chronischen Erkrankungen leiden, werden mit Medikamenten versorgt und erhalten den Beistand eines kompetenten Mediziners, den sie nach Belieben, höchstens aber dreimal pro Woche, anfordern und konsultieren können. Er wird in den meisten Fällen den Zellenbewohnern via Monitor zugeschaltet.
(...)
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Alternativtitel: "Körperlos".
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Hispana - (Fragmente/FremdlerArchive) - Kapitel 1.
laghbas, 19:41h
Unter schweren Kronleuchtern aus Rubin, Lapislazuli und Gold trat der große Kronrat von Hispana zusammen. Noch warteten alle auf die Königin. Geschlitzte Pumpärmel umhüllten nonchalant in die Hüfte gestemmte Arme. Ein Meer aus langen, schmalen Hutfedern wogte, ganz der aktuellen Mode gemäß, weit über den Köpfen ihrer Träger. Man vertrat sich die Beine, scherzte, und unterhielt sich in kleinen, ganz am Rande des weitläufigen Saals zusammenstehenden Gruppen.
Don Alfonso schritt gesenkten Hauptes über die uralten, fast verblassten Teppiche. Sein Blick verlor sich in der Vielfalt zahlreicher, kunstfertig geknüpfter Darstellungen pathetisch-idealisierter Szenen der Hispanischen Historie.
Densos Sieg über die Mormonen, es war...
Aus einer Nische, verdeckt von einem schweren Samtvorhang, sprang die schmalgliedrige Harlekinfigur Don Pedros hervor.
"Was ist Euch?" Sein bleistiftdünner Schnurrbart, schwarz gewichst, zitterte bis in die kunstvoll schneckenförmig aufgerollten Enden hinein.
Don Alfonso verharrte und hob, die Finger wie stets knetend an die fleischig-ausladende Unterlippe gelegt, den Blick abschätzig zu dem bizarren Störenfried empor. Er schien zu überlegen.
Don Pedro derweil begann zu schwitzen, immer schwerer und schwerer fiel es ihm, während er auf eine Reaktion Don Alfonsos wartete, die grell zur Schau getragene Grimasse hämischer Naivität, die sein ausgemergeltes Antlitz verzerrte, aufrechtzuerhalten.
„Ich…“, ließ der bereits ergraute Don Alfonso sich schließlich vernehmen, „… denke nicht, dass Ihr, werter Don Pedro, auch nur den Hauch einer Ahnung habt, was…“
Und das war alles, denn der Rest, so es denn überhaupt einen Rest gab (was niemand im Falle der stets knapp gehaltenen, kryptischen Aussagen des alten Reichsministers wirklich zu sagen wusste), versank in blicklos-wässrig eingetrübten Augen.
Ein schriller Glockenton durchdrang die Szenerie.
„Die Königin! Die Königin!“, flüsterte es.
Man wandte sich um, und alle Aufmerksamkeit richtete sich nun auf die hohen, goldziselierten Flügeltüren am Ende des Saals. Laute Fanfarenstöße drangen durch den sich öffnenden Zugang zum Saal, verursacht von einem Spalier stets gleich frisierter Livreeträger, die sich dort draußen in der unendlichen Spiegelgalerie zu beiden Seiten hin aufgereiht hatten und ihre blechernen Fanfaren steil nach oben hielten.
Rasch begab man sich zu seinen Plätzen, jeder der Anwesenden war sich über den ihm zustehenden Platz am riesigen Rund des auf Hochglanz polierten Mahagonitisches sehr genau im Klaren.
Auch Don Alfonso verließ den lächerlichen Narr, der ihn aus seiner Versunkenheit gerissen hatte, bewegte sich zu seinem Stuhl und sank beschwerlich ächzend nieder. Neben ihm hatte - wie stets - Don Ledro, der Schatzmeister des Reiches, bereits den ihm zugewiesenen Platz gefunden. Ein kurzes Nicken setzte die beiden Männer in Einverständnis miteinander.
Währenddessen erschien die Königin.
Der Anblick des kunstvoll aus gemustertem Stoff gefalteten Dreiecks, hoch über ihrem ebenfalls dreieckigen Kopf drapiert und mit herabhängenden, luftigen Gazeschleiern aus jansanensicher Produktion versehen, sorgte - ganz natürlich - für eine seltsam betretene Stille. Gemächlich, mit zierlichen Schritten (eine andere Fortbewegung ließ ihr schlauchartiges, gold- und silberdurchwirktes Gewand nicht zu) begab sich Charlize I von Hispana zu ihrem Sessel.
Sie setzte sich und sah in die Runde. Ihr spitzlippig zurechtgeschminkter Mund verlieh ihr das typische Aussehen eines hochmütigen Schlammspringers, der alle anderen Kreaturen außer sich selbst als unwürdig empfand. Als die Türflügel, durch die sie eingetreten war, sich hinter ihrem Rücken geschlossen hatten, ergriff sie den neben ihr auf dem Tisch befindlichen Hammer und schlug laut und vernehmlich mehrmals auf das zu diesem Zweck vorbereitete Unterlegholz. Der Rat war eröffnet.
Dem uralten Protokoll gemäß warteten nun alle auf die königliche Themenbenennung der Sitzung.
"Meine Herren, die Frage des heutigen Tages lautet: Wird Hispana in den Krieg ziehen?"
Es erschien immer wieder verblüffend: ihre Stimme passte nicht zu ihrer Erscheinung, oder - tat es doch, denn nie wusste man dies endgültig zu sagen oder zu entscheiden.
Obwohl alle bereits über die Sachlage informiert waren, jagte die klare Aussprache des furchtbaren Wortes nahezu jedem der Ratsmitglieder, ob jung, ob alt, Schockwellen über das erbleichte Antlitz. Ein privates Gerücht, verbreitet in den fackelerleuchteten Gängen der Schlossburg, war eben doch etwas anderes, als die offene Ansage aus dem Mund der Königin selbst.
Neben der Königin erhob sich der kahlköpfige Don Dill, der oberste Privatsekretär ihrer Majestät. Er entrollte ein Pergament, hielt es in pathetisch-gezierter Manier vor sich und setzte, wiederum dem Protokoll gemäß, dazu an, in monotonem Singsang Entwicklungsgeschichte und Umstände des soeben von der Königin benannten Sitzungsthemas zu rekapitulieren.
"Wird er noch kommen?", flüsterte Don Ledro, während er sich leicht zu dem an seiner Unterlippe knetenden Don Alfonso hinüberbeugte.
"Wenn ich das wüsste, dann…", antwortete dieser, und bearbeitete dabei weiter seine Unterlippe, "…würden wir, das kann ich dir versichern, nicht hier sitzen und Rat halten, mein Freund".
Eine Aussage, die Don Ledro zu denken gab.
(2014/IZ – 48.834/UZ)
Don Alfonso schritt gesenkten Hauptes über die uralten, fast verblassten Teppiche. Sein Blick verlor sich in der Vielfalt zahlreicher, kunstfertig geknüpfter Darstellungen pathetisch-idealisierter Szenen der Hispanischen Historie.
Densos Sieg über die Mormonen, es war...
Aus einer Nische, verdeckt von einem schweren Samtvorhang, sprang die schmalgliedrige Harlekinfigur Don Pedros hervor.
"Was ist Euch?" Sein bleistiftdünner Schnurrbart, schwarz gewichst, zitterte bis in die kunstvoll schneckenförmig aufgerollten Enden hinein.
Don Alfonso verharrte und hob, die Finger wie stets knetend an die fleischig-ausladende Unterlippe gelegt, den Blick abschätzig zu dem bizarren Störenfried empor. Er schien zu überlegen.
Don Pedro derweil begann zu schwitzen, immer schwerer und schwerer fiel es ihm, während er auf eine Reaktion Don Alfonsos wartete, die grell zur Schau getragene Grimasse hämischer Naivität, die sein ausgemergeltes Antlitz verzerrte, aufrechtzuerhalten.
„Ich…“, ließ der bereits ergraute Don Alfonso sich schließlich vernehmen, „… denke nicht, dass Ihr, werter Don Pedro, auch nur den Hauch einer Ahnung habt, was…“
Und das war alles, denn der Rest, so es denn überhaupt einen Rest gab (was niemand im Falle der stets knapp gehaltenen, kryptischen Aussagen des alten Reichsministers wirklich zu sagen wusste), versank in blicklos-wässrig eingetrübten Augen.
Ein schriller Glockenton durchdrang die Szenerie.
„Die Königin! Die Königin!“, flüsterte es.
Man wandte sich um, und alle Aufmerksamkeit richtete sich nun auf die hohen, goldziselierten Flügeltüren am Ende des Saals. Laute Fanfarenstöße drangen durch den sich öffnenden Zugang zum Saal, verursacht von einem Spalier stets gleich frisierter Livreeträger, die sich dort draußen in der unendlichen Spiegelgalerie zu beiden Seiten hin aufgereiht hatten und ihre blechernen Fanfaren steil nach oben hielten.
Rasch begab man sich zu seinen Plätzen, jeder der Anwesenden war sich über den ihm zustehenden Platz am riesigen Rund des auf Hochglanz polierten Mahagonitisches sehr genau im Klaren.
Auch Don Alfonso verließ den lächerlichen Narr, der ihn aus seiner Versunkenheit gerissen hatte, bewegte sich zu seinem Stuhl und sank beschwerlich ächzend nieder. Neben ihm hatte - wie stets - Don Ledro, der Schatzmeister des Reiches, bereits den ihm zugewiesenen Platz gefunden. Ein kurzes Nicken setzte die beiden Männer in Einverständnis miteinander.
Währenddessen erschien die Königin.
Der Anblick des kunstvoll aus gemustertem Stoff gefalteten Dreiecks, hoch über ihrem ebenfalls dreieckigen Kopf drapiert und mit herabhängenden, luftigen Gazeschleiern aus jansanensicher Produktion versehen, sorgte - ganz natürlich - für eine seltsam betretene Stille. Gemächlich, mit zierlichen Schritten (eine andere Fortbewegung ließ ihr schlauchartiges, gold- und silberdurchwirktes Gewand nicht zu) begab sich Charlize I von Hispana zu ihrem Sessel.
Sie setzte sich und sah in die Runde. Ihr spitzlippig zurechtgeschminkter Mund verlieh ihr das typische Aussehen eines hochmütigen Schlammspringers, der alle anderen Kreaturen außer sich selbst als unwürdig empfand. Als die Türflügel, durch die sie eingetreten war, sich hinter ihrem Rücken geschlossen hatten, ergriff sie den neben ihr auf dem Tisch befindlichen Hammer und schlug laut und vernehmlich mehrmals auf das zu diesem Zweck vorbereitete Unterlegholz. Der Rat war eröffnet.
Dem uralten Protokoll gemäß warteten nun alle auf die königliche Themenbenennung der Sitzung.
"Meine Herren, die Frage des heutigen Tages lautet: Wird Hispana in den Krieg ziehen?"
Es erschien immer wieder verblüffend: ihre Stimme passte nicht zu ihrer Erscheinung, oder - tat es doch, denn nie wusste man dies endgültig zu sagen oder zu entscheiden.
Obwohl alle bereits über die Sachlage informiert waren, jagte die klare Aussprache des furchtbaren Wortes nahezu jedem der Ratsmitglieder, ob jung, ob alt, Schockwellen über das erbleichte Antlitz. Ein privates Gerücht, verbreitet in den fackelerleuchteten Gängen der Schlossburg, war eben doch etwas anderes, als die offene Ansage aus dem Mund der Königin selbst.
Neben der Königin erhob sich der kahlköpfige Don Dill, der oberste Privatsekretär ihrer Majestät. Er entrollte ein Pergament, hielt es in pathetisch-gezierter Manier vor sich und setzte, wiederum dem Protokoll gemäß, dazu an, in monotonem Singsang Entwicklungsgeschichte und Umstände des soeben von der Königin benannten Sitzungsthemas zu rekapitulieren.
"Wird er noch kommen?", flüsterte Don Ledro, während er sich leicht zu dem an seiner Unterlippe knetenden Don Alfonso hinüberbeugte.
"Wenn ich das wüsste, dann…", antwortete dieser, und bearbeitete dabei weiter seine Unterlippe, "…würden wir, das kann ich dir versichern, nicht hier sitzen und Rat halten, mein Freund".
Eine Aussage, die Don Ledro zu denken gab.
(2014/IZ – 48.834/UZ)
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Donnerstag, 22. August 2024
Hispana - (Fragmente/FremdlerArchive) - Prolog.
laghbas, 09:08h
Ich…
... erwache; er erwacht.
Der Mann, schlank mit braunem Haar, das nass an seinem Schädel klebt, erwacht - langsam, trübe sich aus einer bodenlosen Schwärze empor kämpfend, aus einer Ohnmacht, die ihn irgendwann während seines brutalen Überlebenskampfes in den unbarmherzigen Fluten des Meeres überkommen haben musste. Erst kommt der Schmerz, dann kommt die Kälte. Auch eine Art Schmerz.
Graue Wolken bedecken den Himmel, man hörte die Schreie der Möwen, die sich mit dem ewigen Anklatschen der Wellen ans steinige Ufer vermischten.
Schiffbruch erlitten!
Zögerlich sickerte Erinnerung in den Geist des Mannes. Die Wut der See, die längst richtungslos gewordenen Brecher, schaumgekrönt, ihre Flanken schärfer, steiler noch als der Stahl einer nach oben gerichteten, feindlichen Klinge.
Zuletzt: der schwerfällig knirschende Todesschrei des Schiffes.
Ich erinnerte mich an gefühllos gewordene Finger, verzweifelt in ein geschnürtes Bündel aus rauem Segeltuch gekrallt.
Festhalten, um jeden Preis.
Der Schmerz, jetzt verursacht durch das lange Liegen auf den spitzen, scharfkantigen Unebenheiten des Felsgesteins, zwingt zur Bewegung.
Von Schmerz zu Schmerz getrieben.
... erwache; er erwacht.
Der Mann, schlank mit braunem Haar, das nass an seinem Schädel klebt, erwacht - langsam, trübe sich aus einer bodenlosen Schwärze empor kämpfend, aus einer Ohnmacht, die ihn irgendwann während seines brutalen Überlebenskampfes in den unbarmherzigen Fluten des Meeres überkommen haben musste. Erst kommt der Schmerz, dann kommt die Kälte. Auch eine Art Schmerz.
Graue Wolken bedecken den Himmel, man hörte die Schreie der Möwen, die sich mit dem ewigen Anklatschen der Wellen ans steinige Ufer vermischten.
Schiffbruch erlitten!
Zögerlich sickerte Erinnerung in den Geist des Mannes. Die Wut der See, die längst richtungslos gewordenen Brecher, schaumgekrönt, ihre Flanken schärfer, steiler noch als der Stahl einer nach oben gerichteten, feindlichen Klinge.
Zuletzt: der schwerfällig knirschende Todesschrei des Schiffes.
Ich erinnerte mich an gefühllos gewordene Finger, verzweifelt in ein geschnürtes Bündel aus rauem Segeltuch gekrallt.
Festhalten, um jeden Preis.
Der Schmerz, jetzt verursacht durch das lange Liegen auf den spitzen, scharfkantigen Unebenheiten des Felsgesteins, zwingt zur Bewegung.
Von Schmerz zu Schmerz getrieben.
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Mittwoch, 14. August 2024
Short Cuts I/TOT/1997-1999 - V/Hommage à Poe.
laghbas, 23:27h
Morgenrote Sonnenaugen glitzern frierend in der Nässe. Massenwesen tänzeln sacht dem Untergang entgegen. Glaube mir und glaube nicht, in Sternennächten, im Zelt aus Himmelslust. Morgenrote Sonnenaugen glitzern frierend in der Nässe, wissen nicht, warum sie leben, sind.
„Abrakadabra“, der schwarze Vogel des Todes krächzte sein vollkommenstes Krächzen. Nevermore, never, never, nevermore. Ein Traum in einem Traum.
Das und nichts ansonsten.
„Abrakadabra“, der schwarze Vogel des Todes krächzte sein vollkommenstes Krächzen. Nevermore, never, never, nevermore. Ein Traum in einem Traum.
Das und nichts ansonsten.
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Short Cuts I/TOT/1997-1999 - IV/Bob.
laghbas, 10:11h
„Hey Bob, was tust du?“, der schlaksige Typ mit dem Blumenhemd rief quer über die Straße.
Auf der anderen Seite war es Bob, der überrascht zusammenzuckte.
„Mir geht es gut, schließlich lebe ich noch!“, rief er zurück.
„Na, dann ist ja gut, Alter!“
„Ja, da hast du wohl Recht.“
Bob hatte den Typen noch nie in seinem Leben gesehen. Er war sich dessen absolut sicher, und dennoch ... sprach der Fremde weiter. Ja, mehr als das, der blumenhemdbekleidete Unbekannte war nun tatsächlich dabei, die Straße zu überqueren.
Bob fing an zu schwitzen. Dann war der andere bei ihm und noch ehe er sich versah, musste er einen kameradschaftlichen Schlag auf seine Schulter hinnehmen.
„So lange nicht gesehen. Na, warte mal, es muss jetzt an die zehn, nein bald zwanzig Jahre her sein. Ach Bob, weißt du noch, die Nacht, in der wir die Puppen tanzen ließen, unten in Texas?“, der Fremde sah versonnen ins Nichts.
Bob wurde schwindlig. „Texas? Ähm, verzeihen Sie, aber ich denke, wir sind uns noch nie begegnet. Oder vielleicht kann ich mich nur nicht erinnern, ich …“
Der Fremde wandte sich ab, und nach kurzem Zögern hörte Bob ihn rufen: „Hey, Joe, was tust du?“, quer über die Straße hinweg.
Auf der anderen Seite zuckte ein kleiner Mann im langen grauen Wollmantel zusammen und sah unsicher zu ihnen herüber.
Bob wurde schlecht. Sein Magen rebellierte gegen den Kaffee und die Brötchen, die er zum Frühstück gehabt hatte.
Der Fremde überquerte die Straße zum zweiten Mal.
Bob ging weiter.
Er beschloss, den Vorfall so schnell wie möglich zu vergessen.
Wie hatte seine alte Mutter immer zu ihm gesagt, damals als er noch ein Knirps gewesen war: "Junge, merke dir eins! Nur dies eine, versprich es!“, seine Mutter hatte ihm dabei jedes Mal ganz tief in die Augen gesehen und den Druck ihrer ihn festhaltenden Hände auf seine Arme verstärkt.
„Suche nicht Fragen zu beantworten, die über deinen Verstand gehen. Das bringt nichts, und macht dich verrückt. Würdest du das für mich wiederholen, mein Sohn?"
Und Bob hatte es wiederholt, so unendlich viele Male während seiner Kindheit.
„Suche nicht Fragen zu beantworten, die über deinen Verstand gehen. Suche nicht Fragen zu beantworten, die über deinen Verstand gehen. Suche nicht Fragen zu beantworten, die über deinen Verstand gehen. Suche nicht ...“.
***
Next: Short Cuts I/TOT/1997-1999 - V/Hommage à Poe.
Auf der anderen Seite war es Bob, der überrascht zusammenzuckte.
„Mir geht es gut, schließlich lebe ich noch!“, rief er zurück.
„Na, dann ist ja gut, Alter!“
„Ja, da hast du wohl Recht.“
Bob hatte den Typen noch nie in seinem Leben gesehen. Er war sich dessen absolut sicher, und dennoch ... sprach der Fremde weiter. Ja, mehr als das, der blumenhemdbekleidete Unbekannte war nun tatsächlich dabei, die Straße zu überqueren.
Bob fing an zu schwitzen. Dann war der andere bei ihm und noch ehe er sich versah, musste er einen kameradschaftlichen Schlag auf seine Schulter hinnehmen.
„So lange nicht gesehen. Na, warte mal, es muss jetzt an die zehn, nein bald zwanzig Jahre her sein. Ach Bob, weißt du noch, die Nacht, in der wir die Puppen tanzen ließen, unten in Texas?“, der Fremde sah versonnen ins Nichts.
Bob wurde schwindlig. „Texas? Ähm, verzeihen Sie, aber ich denke, wir sind uns noch nie begegnet. Oder vielleicht kann ich mich nur nicht erinnern, ich …“
Der Fremde wandte sich ab, und nach kurzem Zögern hörte Bob ihn rufen: „Hey, Joe, was tust du?“, quer über die Straße hinweg.
Auf der anderen Seite zuckte ein kleiner Mann im langen grauen Wollmantel zusammen und sah unsicher zu ihnen herüber.
Bob wurde schlecht. Sein Magen rebellierte gegen den Kaffee und die Brötchen, die er zum Frühstück gehabt hatte.
Der Fremde überquerte die Straße zum zweiten Mal.
Bob ging weiter.
Er beschloss, den Vorfall so schnell wie möglich zu vergessen.
Wie hatte seine alte Mutter immer zu ihm gesagt, damals als er noch ein Knirps gewesen war: "Junge, merke dir eins! Nur dies eine, versprich es!“, seine Mutter hatte ihm dabei jedes Mal ganz tief in die Augen gesehen und den Druck ihrer ihn festhaltenden Hände auf seine Arme verstärkt.
„Suche nicht Fragen zu beantworten, die über deinen Verstand gehen. Das bringt nichts, und macht dich verrückt. Würdest du das für mich wiederholen, mein Sohn?"
Und Bob hatte es wiederholt, so unendlich viele Male während seiner Kindheit.
„Suche nicht Fragen zu beantworten, die über deinen Verstand gehen. Suche nicht Fragen zu beantworten, die über deinen Verstand gehen. Suche nicht Fragen zu beantworten, die über deinen Verstand gehen. Suche nicht ...“.
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Next: Short Cuts I/TOT/1997-1999 - V/Hommage à Poe.
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Sonntag, 11. August 2024
Zellenengel - (Erzählung/SF) - I.
laghbas, 12:00h
In einer Staubwolke landete das Buch auf dem Boden. Niemand hatte es herausgezogen, keine Hand hatte nach ihm gegriffen oder es auch nur berührt - nicht mehr seit über tausend Jahren. Als wäre ein plötzlicher Windstoß hindurchgefahren, bewegten sich plötzlich die Seiten, raschelten, die Bindung des Buchs knarzte leise und, wie zufällig, blieb es an einer vorbestimmten Stelle offen liegen.
Seine fleischlosen Augen machten sich ans Lesen.
Ohio, 14. März 2103.
Dies sind die Aufzeichnungen des Insassen O-18184, aufgefunden nach seinem Selbstmord am frühen Morgen des 11. Juni 2101. Obwohl die Untersuchungskommission vehement an den Schilderungen des Selbstmörders zweifelt - ja, geneigt ist, sie für die grotesken Fantasien eines durch und durch Wahnsinnigen zu halten -, wurde entschieden, sie der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
Wir übersenden Ihnen hiermit den Originaltext, mitsamt einigen von uns markierten (kursiv gesetzten) Passagen, die wir dringend zur Zensur anraten, da sie ein unerwünschtes Licht auf das Zellensystem werfen.
Der Text selbst gliedert sich in zwei Teile, von denen der erste eine kurze Einführung zum System selbst, seiner Geschichte und Funktion, gibt, während der zweite die entarteten, selbst formulierten Fantasien des verstorbenen Insassen im Original wiedergibt.
Der beigefügten Aktennotiz folgte der eigentliche Text. Obwohl er die Geschichte schon kannte, las er weiter und vertiefte sich in die Sätze und Worte, die er vor langer Zeit, zumindest was den zweiten Teil betraf, eigenhändig verfasst hatte.
Einfache metallische Gehäuse, fensterlos, hermetisch abgeschlossen, ohne unmittelbare Verbindung zur Außenwelt, hunderttausende von ihnen existieren in den unzugänglichen Regionen der Hochgebirge oder den unauslotbaren Tiefen verschiedener Höhlensysteme weit unter der Oberfläche der Erde. Ihr Sinn und Zweck besteht in der gezielten Anregung und Förderung menschlicher Kreativität, der kompromisslosen Ausreizung des in dieser Hinsicht abrufbaren, neurologischen Potentials. Jedem Mitglied des Kollektivs steht es mit Vollendung des dreiundzwanzigsten Lebensjahres frei, sich für den Rückzug in eines der Zellensysteme zu entscheiden. Man stellt einen Antrag und erlangt meist ohne weitere Komplikationen die Erlaubnis. Wenige Tagen später dann zeigt ein Signal des persönlichen Postempfängers den Eingang der Information zu Lagebedingung und Standort des zugewiesenen Systems, und man verlässt seine Wohnkapsel, verschließt ein letztes Mal die Tür hinter sich, um von da an ein selbstloses und ehrenvolles Leben im Dienste des Kollektivs zu führen. Sämtliche Besitztümer werden zurückgelassen. Sie verbleiben in den Wohneinheiten der Antragssteller und werden später unter den Bedürftigen des Kollektivs verteilt. Nichts ist zur Mitnahme erlaubt, außer Büchern, digitalisierten Wissensbeständen und, vielleicht, individuellem Schreib- und Arbeitsmaterial. Alles andere, das der eine oder andere vielleicht noch zu benötigen glaubt, muss nach Bezug der Zelle vor Ort beantragt werden.
Wie jeder weiß, resultieren seit Jahrzehnten ausnahmslos alle bedeutenden Entdeckungen der exakten Wissenschaft, aber auch der Geisteswissenschaft und Kunst, der Theologie, der Philosophie, einzig aus den streng überwachten Kreativitätsprozessen der Insassen jener Zellensysteme, die - solange sie ihre Aufgabe erfüllen - ein sorgloses und bequemes Leben führen, einsam und spartanisch, jedoch gänzlich frei von existentiellen Ängsten irgendeiner Art; man sorgt für sie, umgibt sie mit all der Sicherheit, die sie benötigen, um ihre Aufgabe zu erfüllen.
Natürlich provoziert diese Verheißung vollkommener, existenzieller Sorglosigkeit gelegentlich Versuche des Missbrauchs. Diesbezüglich haben die Zellensysteme mit den gleichen Schwierigkeiten zu kämpfen wie alle anderen staatlichen Versorgungs- und Wohlfahrtssysteme der Vergangenheit auch. Der Ablauf des Lebens in der Abgeschiedenheit der Zellen jedoch lässt solche Missbrauchsversuche nicht lange unentdeckt. Wände, Fußböden und Decken der Zellen sind von hoch sensiblen Messeinrichtungen durchsetzt, die unablässig in jedem Augenblick die Geistesleistung der jeweiligen Insassen aufzeichnen, den Aktivitätsgrad der Hirnareale abbilden, und so mittels zentralisierter Überwachungstechnik die Parameter errechnen, die laufend darüber Aufschluss geben, ob, und in welchem Maße, der Eingeschlossene noch produktiv arbeitet oder - im Gegenteil - in ein neurologisch dumpfes, ziel- und nutzloses Dahinvegetieren verfallen ist.
Letzteres ist unter keinen Umständen erwünscht.
(...)
***
Alternativer Arbeitstitel: "Körperlos".
Seine fleischlosen Augen machten sich ans Lesen.
Ohio, 14. März 2103.
Dies sind die Aufzeichnungen des Insassen O-18184, aufgefunden nach seinem Selbstmord am frühen Morgen des 11. Juni 2101. Obwohl die Untersuchungskommission vehement an den Schilderungen des Selbstmörders zweifelt - ja, geneigt ist, sie für die grotesken Fantasien eines durch und durch Wahnsinnigen zu halten -, wurde entschieden, sie der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
Wir übersenden Ihnen hiermit den Originaltext, mitsamt einigen von uns markierten (kursiv gesetzten) Passagen, die wir dringend zur Zensur anraten, da sie ein unerwünschtes Licht auf das Zellensystem werfen.
Der Text selbst gliedert sich in zwei Teile, von denen der erste eine kurze Einführung zum System selbst, seiner Geschichte und Funktion, gibt, während der zweite die entarteten, selbst formulierten Fantasien des verstorbenen Insassen im Original wiedergibt.
Der beigefügten Aktennotiz folgte der eigentliche Text. Obwohl er die Geschichte schon kannte, las er weiter und vertiefte sich in die Sätze und Worte, die er vor langer Zeit, zumindest was den zweiten Teil betraf, eigenhändig verfasst hatte.
Einfache metallische Gehäuse, fensterlos, hermetisch abgeschlossen, ohne unmittelbare Verbindung zur Außenwelt, hunderttausende von ihnen existieren in den unzugänglichen Regionen der Hochgebirge oder den unauslotbaren Tiefen verschiedener Höhlensysteme weit unter der Oberfläche der Erde. Ihr Sinn und Zweck besteht in der gezielten Anregung und Förderung menschlicher Kreativität, der kompromisslosen Ausreizung des in dieser Hinsicht abrufbaren, neurologischen Potentials. Jedem Mitglied des Kollektivs steht es mit Vollendung des dreiundzwanzigsten Lebensjahres frei, sich für den Rückzug in eines der Zellensysteme zu entscheiden. Man stellt einen Antrag und erlangt meist ohne weitere Komplikationen die Erlaubnis. Wenige Tagen später dann zeigt ein Signal des persönlichen Postempfängers den Eingang der Information zu Lagebedingung und Standort des zugewiesenen Systems, und man verlässt seine Wohnkapsel, verschließt ein letztes Mal die Tür hinter sich, um von da an ein selbstloses und ehrenvolles Leben im Dienste des Kollektivs zu führen. Sämtliche Besitztümer werden zurückgelassen. Sie verbleiben in den Wohneinheiten der Antragssteller und werden später unter den Bedürftigen des Kollektivs verteilt. Nichts ist zur Mitnahme erlaubt, außer Büchern, digitalisierten Wissensbeständen und, vielleicht, individuellem Schreib- und Arbeitsmaterial. Alles andere, das der eine oder andere vielleicht noch zu benötigen glaubt, muss nach Bezug der Zelle vor Ort beantragt werden.
Wie jeder weiß, resultieren seit Jahrzehnten ausnahmslos alle bedeutenden Entdeckungen der exakten Wissenschaft, aber auch der Geisteswissenschaft und Kunst, der Theologie, der Philosophie, einzig aus den streng überwachten Kreativitätsprozessen der Insassen jener Zellensysteme, die - solange sie ihre Aufgabe erfüllen - ein sorgloses und bequemes Leben führen, einsam und spartanisch, jedoch gänzlich frei von existentiellen Ängsten irgendeiner Art; man sorgt für sie, umgibt sie mit all der Sicherheit, die sie benötigen, um ihre Aufgabe zu erfüllen.
Natürlich provoziert diese Verheißung vollkommener, existenzieller Sorglosigkeit gelegentlich Versuche des Missbrauchs. Diesbezüglich haben die Zellensysteme mit den gleichen Schwierigkeiten zu kämpfen wie alle anderen staatlichen Versorgungs- und Wohlfahrtssysteme der Vergangenheit auch. Der Ablauf des Lebens in der Abgeschiedenheit der Zellen jedoch lässt solche Missbrauchsversuche nicht lange unentdeckt. Wände, Fußböden und Decken der Zellen sind von hoch sensiblen Messeinrichtungen durchsetzt, die unablässig in jedem Augenblick die Geistesleistung der jeweiligen Insassen aufzeichnen, den Aktivitätsgrad der Hirnareale abbilden, und so mittels zentralisierter Überwachungstechnik die Parameter errechnen, die laufend darüber Aufschluss geben, ob, und in welchem Maße, der Eingeschlossene noch produktiv arbeitet oder - im Gegenteil - in ein neurologisch dumpfes, ziel- und nutzloses Dahinvegetieren verfallen ist.
Letzteres ist unter keinen Umständen erwünscht.
(...)
***
Alternativer Arbeitstitel: "Körperlos".
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